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Therapie-Serie – “Achtet auf das, was gut tut!” – Teil 7 : Psychotherapie –

Das Fetale Alkoholsyndrom bringt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen insgesamt 419 verschiedene Symptome hervor. Dazu zählen körperliche Beeinträchtigungen wie auch neurologische Entwicklungsstörungen. Die neurologischen Defizite sind nicht heilbar, die Betroffenen haben ein Leben lang mit den Auswirkungen zu kämpfen. Es ist jedoch möglich, die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Therapien zu fördern.

Um bei der allgemeinen Flut von Therapieangeboten einen Überblick zu bekommen, welche Therapien sinnvoll sein können, haben wir unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters, gebeten eine Auswahl zu treffen. Entstanden ist eine “Therapie-Serie”, deren Staffeln wir in loser Abfolge online stellen.

Grundsätzliches für jede Therapieplanung

Annika Rötters: “Das wichtigste überhaupt ist: Achtet auf das, was gut tut!”

Die Störungen der alkoholgeschädigten Kinder und Jugendlichen sind individuell, so dass es für die Therapieplanung notwendig ist, für jeden Patienten das Passende bzw. die passende Kombination zu finden. Dabei ist ‘mehr’ nicht unbedingt ‘besser’. Bedingt durch das Spektrum der Schädigungen und die oft damit einhergehende Intelligenzminderung sowie die schnelle bzw. schnellere Reizüberflutung, möchte ich mich dafür aussprechen, nicht zu viel auf einmal anzugehen. Es sollte immer im Fokus behalten werden, dass eine Tendenz zur Überforderung besteht, die es zu verhindern gilt.

Nach meiner Erfahrung mit ‘besonderen Kindern’ kann ich empfehlen: Nicht zu viele Termine – und nicht mehr als einen Termin (egal ob Diagnostik oder Therapie) pro Tag und keinesfalls mehr als zwei pro Woche. Termine sind für alle anstrengend, und das, was innerhalb eines Termines geschieht, muss in ausreichender Zeit verarbeitet werden können. Notfälle sind von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen.

Termine sollten außerdem so geplant werden, dass sie in den Tagesablauf des Patienten passen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass für einen Termin der Mittagsschlaf geopfert wird.

Nicht zuletzt sollte der Therapieplan individuell mit den jeweiligen Ärzten und Therapeuten des Vertrauens auf den Patienten abgestimmt werden.”

 

Psychotherapie

Psychologische Psychotherapeuten arbeiten klassischerweise entweder verhaltenstherapeutisch fundiert oder tiefenpsychologisch. “Es gibt auch die systmemische Psychotherapie und einige andere mehr”, sagt Annika Rötters, “aber diese sind zum Teil (noch) nicht kassenanerkannt und werden somit auch nicht ohne weiteres von der Krankenkasse übernommen. Es handelt sich oft um Angebote für Privatzahler.”

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TFP)

Kognitive Prozesse und Strukturen, das heißt unbewusste Mechanismen und Prozesse stehen bei der Behandlung durch TFP im Vordergrund. Es soll der sogenannte Kern einer Störung bearbeitet werden. “Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie arbeitet nicht primär symptomorientiert, sondern befasst sich mit den Auslösern der jeweiligen zu behandelnden Störung oder Krankheit”, erläutert die Diplom-Psychologin.

Bei fetal alkoholgeschädigten Menschen besteht zumeist eine Intelligenzminderung. “Das kann die Anwendung tiefenpsychologisch fundierter Methoden deutlich erschweren”, gibt Annika Rötters zu bedenken. Allerdings, und Rötters weiter: “Ursprünglich gehörte die aktive Einarbeitung von verhaltensorientierten Strategien nicht in die Ausbildung zum TFP. Inzwischen wird aber auch hier mit stabilisierenden Techniken gearbeitet. Das bedeutet, dass den Patienten durchaus konkrete Techniken für Belastungssituationen an die Hand gegeben werden. Diese sind jedoch häufig kognitiv basiert – ganz im Gegensatz zu den verhaltensorientierten Ansätzen der Verhaltenstherapie.”

Worauf muss geachtet werden?

Für den Patienten bedeutet es, dass im Vorfeld genau geschaut werden muss, ob er die geeigneten Fähigkeiten mitbringt, dass eine TFP Sinn macht und damit erfolgsversprechend ist. Ebenso muss auch der Therapeut die Fähigkeiten mitbringen, auf den Patienten angemessen eingehen zu können. Die Ausbildung zur Person des tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten ist ein Qualitätsmerkmal – die menschliche Passung zwischen Therapeut und Patient spielt aber auch eine große Rolle.

Verhaltenstherapie (VT)

Bei der Verhaltenstherapie liegt der Fokus – vereinfacht gesagt – auf dem Hier und Jetzt, und nicht primär darauf, die Probleme aus der Vergangenheit oder Kindheit aufzuarbeiten. Die Arbeit setzt an konkreten Verhaltensweisen im Alltag an, die den Patienten im täglichen Leben beeinträchtigen. Hierfür soll er sich neue Sicht- und Verhaltensweisen aneignen, um seine Probleme bewältigen zu können. “Oder auch neue Zugänge zu bereits vorhandenen, aber bisher nicht ausgeschöpften Ressourcen erlernen”, erläutert Annika Rötters. Dabei setzt der Psychotherapeut zum Beispiel Angstbewältigungsstrategien, Rollenspiele, Verhaltensübungen, Vorstellungsübungen (mentales Training) und Entspannungsverfahren ein.

Zu Bedenken ist laut Annika Rötters: “Aufgrund der häufig auftretenden Intelligenzminderung, sowie der konkreten Störungen des Sozialverhaltens bei FASD ist (rein theoretisch) Verhaltenstherapie auf den ersten Blick geeigneter als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Im Einzelfall ist jedoch für die konstruktive Zusammenarbeit eine vertrauensvolle Therapeuten-Patienten-Beziehung höchstwahrscheinlich bedeutsamer für den Therapieerfolg als das konkrete Ausbildungsverfahren des Psychotherapeuten.”

Verhaltenstherapie mit Softskills und Piktogrammen

Bei der Methodik der „Soft Skills“ geht es um die Stärkung zwischenmenschlichen Erlebens und Verhaltens – quasi das „Erlernen sozialer Kompetenzen“. Dies sei sinnvoll, sagt die Psychologin, aber gleichzeitig auch für Patienten mit FASD schwierig, weil entsprechende Grundlagen für ein „ungestörtes soziales Miteinander“, wie etwa Gerechtigkeitsempfinden oder Moralverständnis grundlegend anders angelegt sein könnten als bei anderen Menschen. Annika Rötters: “Nichtsdestotrotz kann es sehr sinnvoll sein, mit Patienten hier zu arbeiten – letztendlich sind angewandte Techniken nicht nur hilfreich für den Umgang mit anderen Menschen, sondern auch für den Umgang des Patienten mit sich selbst.”

“Piktogramme” sind Symbole oder einfache Bilder, mit deren Hilfe Kommunikation gestaltet werden kann. „So könnten beispielsweise manche Patienten mit Defiziten in der verbalen Kommunikation über Piktogramme ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern lernen”, erläutert die Fachfrau. Auch zur Strukturierung des Alltags, beispielsweise mit FASD-Patienten im Autismus-Spektrum, können Piktogramme sinnvoll eingesetzt werden.

Worauf muss geachtet werden?

Verhaltenstherapie darf nur durch zugelassene Verhaltenstherapeuten (etwa psychologische Psychotherapeuten VT) durchgeführt werden. Die vertrauensvolle Therapeuten-Patienten-Beziehung spielt eine wichtige Rolle für die Effektivität der Behandlung.

Neurokognitive Therapien

In der Neurokognition beschäftigen sich Psychologen, Neuropsychologen und Neurobiologen mit der Frage, wie kognitive Leistungen im Gehirn zustande kommen. Annika Rötters: “Neurokognitive Therapien setzen bei der Förderung von Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Planungsfähigkeit, Orientierung, Kreativität und Imagination an. Neurokognitive Defizite werden gezielt bearbeitet und mit den Patienten Techniken erlernt, um sich im Alltag trotz vorhandener – nicht heilbarer – Beeinträchtigungen so eigenständig wie möglich zurechtfinden zu können.”

Worauf muss geachtet werden?

Neurokognitive Ansätze finden sich meist innerhalb Psychotherapeutischer Verfahren – eine „anerkannte Ausbildung zum neurokognitiven Therapeuten“ gibt es bisher in Deutschland nicht. Sowohl das Verfahren als auch der Therapeut sollte zum individuellen Patienten passen. Gerade bei vorliegender Intelligenzminderung mit Orientierungsstörung können neurokognitive Ansätze hilfreich sein – eine Garantie kann es trotzdem nicht geben.

 

Die Therapie-Serie auf einen Blick:

1. Tiergestützte Therapie

2. Musiktherapie

3. Physiotherapie

4. Ergotherapie

5. Logopädie

6. Motopädie

7. Psychotherapie

8. Ernährung

9. Neurofeedback

 

Informationen zur Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters: www.psychotrainment.de

Autorin: Dagmar Elsen