Hebamme spricht Klartext: “Nicht mal medizinisches Personal ist aufgeklärt”
Hebammen sind neben den Gynäkologen mit die wichtigsten Berater und Begleiter in der Schwangerschaft und der ersten Zeit nach der Geburt. Sie sind unter anderem gefragt, Frauen und ihre Partner darauf hinzuweisen, wie gefährlich der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und Stillzeit ist. Tun sie das denn auch? Immerhin trinken 58% der deutschen Frauen Alkohol in der Schwangerschaft, 54% selbst dann noch, wenn sie wissen schwanger zu sein.* Und 44% der Deutschen wissen mit dem Fetalen Alkoholsyndrom nichts anzufangen.** Unsere Botschafterin, die Hebamme Christine Kruschinski aus Waldshut, hat sich unseren Fragen gestellt und spricht knallhart Klartext:
Wenn Du in der Schwangeren-Beratung über die Gefahren von Alkohol aufklärst – wie sind die üblichen Reaktionen?
Christine: Leider dominiert ein großes Maß an Ungläubigkeit: Von “Meine Mutter/Oma hat auch in der Schwangerschaft mal ein Gläschen Wein getrunken oder an Silvester das Glas Sekt und es hat mir/uns nicht geschadet”, bis hin zu “Aber im Wehencocktail ist doch auch Alkohol?”
Das Bewusstsein darüber, dass die Gefahren von Alkohol über den Kater am nächsten Morgen hinausgehen, ist leider kaum vorhanden. Es scheint sogar manchmal so zu sein, dass mein Anliegen in der Aufklärung über die Gefahren als “übertrieben” wahrgenommen werden.
Ist den Schwangeren bewusst, dass Alkohol ein Zellgift ist, das die Zellteilung des Ungeborenen verhindert?
Christine: Überhaupt nicht. Ich denke sogar, dass der durch Nikotin verursachte Schaden eher wahrgenommen wird, als die Gefahr durch Alkohol für das Ungeborene. Dies mag allerdings zum großen Teil auch daran liegen, dass Alkohol im Alltag nahezu keine Stigmatisierung erfährt, sondern als alltägliches Lebensmittel betrachtet wird. Manchmal wird er im Übermaß genossen, aber selbst dieser Zustand des Katers ist ja nur “ab und zu” und vergeht. Welche Schäden das Zellgift hinterlässt, ist den Schwangeren überhaupt nicht bewusst.
Sind die Reaktionen der Schwangeren nach Alter unterschiedlich?
Christine: Interessanterweise habe ich persönlich sogar die Erfahrung gemacht, dass sehr junge Schwangere eher bereit sind, sich mit der Thematik wenigstens ansatzweise auseinander zu setzen. Mit zunehmenden Alter und einem gefestigteren Platz im Leben, scheint es umso schwerer zu sein, die Problematik anzuerkennen.
Welches sind die meist gestellten Fragen der Schwangeren?
Christine: Die häufigste Frage lautet: “Aber man weiß ja nicht sofort, dass man schwanger ist. Was ist, wenn ich in den ersten Wochen beim Feiern getrunken habe? Macht das dann was?”
Die nächste ist: “An Silvester ein Glas Sekt schadet aber nicht, oder?”
Und: “Mein Frauenarzt und meine Oma/Tante etc. haben gesagt, dass ab und zu Alkohol nicht schlimm ist für das Baby. Früher wurde da ja auch nicht drauf geachtet und uns hat es nicht geschadet. Ab und zu ein Glas Wein geht doch, oder?”
Und ganz selten wird dann doch mal gefragt, ob Alkohol in Lebensmitteln wie Schokolade etc. ein Problem ist. Aber dies passiert meistens nicht beim ersten Gespräch darüber, sondern ab und zu nach einer gewissen Zeit des “Sackenlassens”.
Welches sind die größten Fehlinformationen, die die Schwangeren haben?
Christine: “Ab und zu ein Glas schadet nicht.” Es gibt auch immer noch oft genug die Information, dass beim Kind im Mutterleib kaum noch etwas von der Wirkung und dem Wirkstoff des Alkohols ankommt, weil der mütterliche Organismus auf dem Weg zum Kind schon so viel abbaut.
Und: “Rotwein hilft die Geburt einzuleiten und regt Wehen an. Am besten in der Badewanne.” – Ich weiß wirklich nicht, warum sich diese vollkommen überholten Vorstellungen immer noch sogar beim medizinischen Personal halten.
Sind das Fetale Alkoholsyndrom und seine Auswirkungen bekannt?
Christine: Nein! Oftmals wurde der Begriff des Fetalen Alkoholsyndroms noch nie gehört. Und leider muss man sagen, dass ausgerechnet an den Stellen, wo Schwangere oder Frauen mit Kinderwunsch, oder generell Menschen, diese Informationen eigentlich ständig vor Augen haben sollten – sprich beim Arzt, der Hebamme, im Krankenhaus, eigentlich schon angefangen in der Schule – nichts davon zu sehen und zu hören ist.
Selbst Hebammen klären leider viel zu selten darüber auf. Und auch in der ärztlichen Schwangerschaftsvorsorge und Sprechstunde wird dem Thema Fetales Alkoholsyndrom kaum bis gar kein Raum gegeben.
Wie verhält es sich bei den Männern hinsichtlich ihrer Fragen, ihrer Kenntnisse, ihres Interesses?
Christine: Die Kenntnisse der Männer sind zumeist noch weitaus geringer als die der Frauen. Allerdings tendieren doch einige werdende Väter dazu, aus einem “Beschützerinstinkt” heraus dem ungeborenen Kind gegenüber, die werdenden Mütter ernst anzuschauen und zu sagen: “Hörst Du, lass es lieber für den Rest der Schwangerschaft.”
Gleichzeitig würden Sie sich mit Ihren Kumpels aber gegenseitig auf die Schulter klopfen, wer mehr verträgt. Da wird dann separiert: Meine Leber. Die Leber meines Kindes – wenn ich das mal so platt ausgedrücken darf.
Studien kommen zu dem Ergebnis, dass statistisch gesehen akademisch gebildete Frauen mehr Alkohol in der Schwangerschaft zu sich nehmen, als Frauen aus sozialen Brennpunkten. Hast Du das auch beobachtet?
Christine: Ich habe dazu eine eigene Idee, die sich allerdings mit den Studien deckt. Es ist tatsächlich so, bei dem was ich beobachten konnte, dass Frauen aus sozialen Brennpunkten zwar eher weiter während der Schwangerschaft rauchen, aber durchaus die Problematik des Trinkens kennen und deswegen in der Schwangerschaft aufhören.
Akademisch gebildete Frauen tendieren eher dazu, bei dem geselligen Trinken des guten Tons wegens zu bleiben. Auch der “gediegene Wein am Abend” gehört irgendwie dazu. Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist. Denn im Grunde würde man dies ja genau anders herum erwarten. In akademischen oder gut situierten Kreisen ist der Alkoholismus anders vertreten als in sozialen Brennpunkten.
In sozialen Brennpunkten steht das Bier morgens auf dem Tisch und jeder weiß und sieht unmissverständlich: Der ist ein sogenannter Alki. Die Auswirkungen des Alkoholismus sind für alle offenkundig und deutlich sichtbar. Das bedeutet, dass Schwangere und überhaupt Frauen in sozialen Brennpunkten viel eher den durch Alkohol verursachten Schaden sehen. Mehr oder weniger bewusst heißt das für sie: “Das will ich nicht, ich bin ja schwanger.”
In akademisch geprägten Kreisen findet der Alkoholkonsum viel verdeckter statt, werden die Auswirkungen geschickt kaschiert, so dass der Schaden nicht so deutlich zu Tage tritt. Das macht es für das Umfeld schwerer, die Problematik dahinter zu erkennen. Wobei ich betonen möchte, dass das nur meine Idee eines Erklärungsversuches ist.
Kennst Du den Ratschlag: Trink nach der Geburt Bier, dann hast Du einen besseren Milcheinschuss?
Christine: Ich kenne den Ratschlag mit Malzbier; auch, um generell die Milchmenge zu steigern, sollte sie mal nachlassen. Leider ist Malzbier in den Köpfen immer noch ein “Kinderbier” und wird als alkoholfrei betrachtet. Wobei auch da zumeist zwei Volumenprozent Alkohol enthalten sind und ich es deshalb nicht empfehlen kann.
Ab welchem Zeitpunkt kann ich als frisch gebackene Mutter wieder Alkohol trinken?
Christine: Wenn eine frischgebackene Mama Alkohol trinken möchte, empfiehlt es sich, dies erst dann zu planen und umzusetzen, wenn der Milcheinschuss erfolgt ist und sich die Milchproduktion so gut eingespielt hat, dass sich die Trinkmahlzeiten planen lassen. Die ist in der Regel nach einem guten Monat nach der Geburt der Fall.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Sie nutzt bereits im Vorfeld auf Vorrat abgepumpte Milch aus dem Kühlschrank. Oder sie stillt, trinkt dann den Alkohol und lässt dann eine Pause von mehreren Stunden, bevor sie wieder stillt, um so sicher gehen zu können, dass der Alkohol wieder aus dem Körper verstoffwechselt wurde und nicht in die Muttermilch gelangt. Dass dabei die getrunkenen Alkoholmengen gering bleiben, ist selbstverständlich vorausgesetzt.
*Quelle: Charité Berlin
**Quelle: Sucht- und Drogenbericht 2018
Die Fragen stellte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne