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Luise: “Beziehung kann man lernen”

Menschen, die unter fetalen Alkoholschäden leiden, wird oft nachgesagt, dass sie nicht in der Lage sind, eine langfristige Beziehung einzugehen, weil sie unter Bindungssstörungen leiden. Unsere vom Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) betroffene Botschafterin Luise Andrees aus Berlin und Zwillingsschwester von Clara, die ebenso FAS hat, sagt: „Doch, das kann man schaffen!“ Seit über drei Jahren ist sie glücklich mit ihrem zweiten festen Freund, mit dem sie im Januar diesen Jahres zusammengezogen ist. Wie das kam, das wollte die 27jährige unbedingt erzählen, um anderen Mut zu machen.

Der Weg zu einer guten Beziehung sei natürlich nicht einfach gewesen, gibt sie zu. Es sei zu vielen Missverständnissen und Konflikten gekommen. „Meine ersten Erfahrungen mit einer guten Freundschaft, die dann zu meiner ersten Beziehung geführt hat, waren für mich aus jetziger Sicht Gold wert. Ich habe viel daraus gelernt“, sagt Luise. Kennengelernt hatte sie ihn als 24jährige bei ihrem geliebten Sport, dem Tischtennis spielen. 

„Damals war ich sehr vorsichtig und zurückhaltend“, erinnert sich die Heilerziehungspflegerin, „ich habe meine Gefühle nicht zeigen können, was bei ihm auf großes Unverständnis stieß. Ich konnte ihm nicht sagen, warum ich so kalt bin.“ Außerdem konnte Luise sich nicht wirklich auf ihn einlassen, weil sie viel Freiraum beansprucht. Auch Kommunikation war für die Berlinerin ein Fremdwort.

Luise wusste nur allzugut selbst, dass all das aber wichtig ist in einer Beziehung. Dennoch sie schaffte es nicht, die Probleme offen anzusprechen. „Die ganze Situation führte dann früher oder später zur Trennung“, erzählt sie. Es habe aber nicht lange gedauert, da lernte sie ihren jetzigen Freund kennen. 

Und, jetzt endlich, öffneten sich die Schleusen: „Ich habe sofort mit offenen Karten gespielt und gesagt, dass ich das Fetale Alkoholsyndrom habe und dass ich schlecht Gefühle zeigen kann. Und dass ich viel mit mir selbst ausmache. Und dass es schwer ist, Konflikte zu lösen, die eventuell auftreten könnten.“ Luise hat außerdem gelernt, dass die Grundlage für eine gute Beziehung sein muss, dass man mit sich im reinen ist. Das ist sie: „Jetzt kann ich Gefühle zeigen, spreche Situationen sofort an, wenn ich feststelle, dass Redebedarf besteht.“ Und noch etwas ist für sie elementar: „Er nimmt mich so, wie ich bin. Er unterstützt mich in allem und das gibt mir sehr viel Kraft. Er kennt mich so gut, dass er, wenn ich einen bestimmten Gesichtausdruck habe, sofort weiß, was los ist.“

Luise fasst die wesentlichen Punkte aus ihrer Erfahrung zusammen:

+ Offenheit

+ Kommunikation

+ Gefühle zeigen

+ mit sich selbst im reinen sein

+ Empathie

Luise’s Fazit: „Wenn alle diese Punkte stimmen, dürfte es einer guten Beziehung an nichts mehr fehlen.“

Wir wollten noch ein bisschen mehr von Luise wissen und haben ihr ein paar Fragen gestellt:

Wie hast Du an Dir selbst gemerkt, dass Du Gefühle für Deinen ersten Freund hegst?

Luise: Bei meinem ersten Freund kamen die Gefühle erst nach und nach schleichend. Ich habe immer mehr gemerkt, dass ich oft an ihn denken muss und dass mir Bilder und Situationen, die wir zusammen erlebt haben, nicht mehr aus dem Kopf gehen. Irgendwann habe ich gedacht, na ob das dann nur noch eine normale Freundschaft ist, weiß ich nicht. Und so kam es dann, dass ich das offen angesprochen habe. Wir waren dann beide der Meinung, dass wir uns eine Beziehung vorstellen können.

War er die treibende Kraft, dass Ihr zusammen gekommen seid?

Luise: Meine treibende Kraft war, dass ich immer und immer wieder auch von seiner Seite aus gefragt wurde, ob ich nicht mal langsam über eine Beziehung nachdenken möchte. Ich war wirklich oft bei ihm und wir wollten uns eigentlich gar nicht mehr räumlich trennen.

Welche Art von Gefühlen hast Du nicht zeigen können?

Luise: Ich bin ein Mensch, der generell seine Gefühle kaum zeigt. Für mich war es schon immer unangenehm, meine Gefühle offen zu zeigen. Dass musste mein erster Freund ja leider auch feststellen. Ich konnte ihm nur sehr selten ins Gesicht sagen, dass ich ihn liebe, oder einfach offen mit ihm reden. Ich habe es eher in Schriftform oder mit einem Smiley gemacht. Ich konnte ihm auch nicht zeigen, ob ich traurig bin und weinen vor ihm schon gar nicht.

Was meinst Du mit „mit mir im reinen sein“? Mit was warst Du im unreinen?

Luise: Als ich mich gegen die Beziehung nach ungefähr einem Jahr entschieden habe, war ich mir im reinen. Ich merkte, dass ich mich davor dazu gezwungen hatte, mit ihm zusammen zu sein.

Mein Bauchgefühl hatte ich nicht ernst genommen. Obwohl ich recht früh gemerkt hatte, dass ich mich eingeengt fühle und noch einige Dinge mehr. Ich fühlte, so kann ich mich nicht weiterentwickeln. Als ich Schluss gemacht habe, fiel eine Riesen Last von mir und ich konnte endlich wieder atmen Das zeigte mir, dass ich alles richtig gemacht habe.

Kannst Du Dich denn jetzt vollständig einlassen? Oder gibt es bestimmte Grenzen, auf die Ihr Euch geeinigt habt?

Luise: Bei meinem jetzigen Freund kann ich mich voll auf ihn einlassen und er auf mich. Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt und habe ihm gesagt, wo meine Probleme sind und wie man in solch einer Situation mit mir umgehen soll. Dadurch konnten wir gleich eine Basis aufbauen, die für uns beide optimal war und immer noch ist.

Grenzen gibt es insofern, dass ich ihm gesagt habe, dass ich draußen nicht unbedingt küssen möchte und ein auf so mega verliebt spielen möchte. Für mich soll das einfach privat bleiben. Auch bei meinem unseren Sport möchte ich nicht, dass die anderen wissen, dass wir zusammen sind.

Dein Freund nimmt Dich so wie Du bist – bei was nimmt er sich zurück?

Luise: Ja, mein Freund nimmt mich mit all meinen Ecken und Kanten. Darüber bin ich sehr froh. Er nimmt sich oftmals zurück für mich, indem er meine Wünsche akzeptiert. Und er lässt mir den Freiraum, den ich brauche. Ich darf zu meinen Tischtennis-Turnieren fahren am Wochenende und einfach meine Freizeit so gestalten, wie ich das möchte.

Du hast mit Deiner Zwillingsschwester Clara eine sehr enge, innige und vertraute Verbindung. Hast Du bestimmte Dinge (Offenheit, Kommunikation, etc.) daraus für die Beziehung zu Deinem Freund ableiten können?

Luise: Ich bin schon immer ein emphatischer Mensch gewesen und das ist, denke ich, der Tatsache geschuldet, dass ich eben von klein auf eine Schwester habe, die eine geistige Behinderung hat. Deshalb habe ich von Anfang an gelernt, wie ich mit ihr umzugehen habe. Das hat mich sehr geprägt und beeinflusst mich immer noch, da ich mich nach wie vor viel mich um sie kümmere. Hinzu kommt mein Beruf als Heilerziehungspflegerin. Dafür muss man auch unbedingt emphatisch sein.

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Schule muss ein Ort zum Wohlfühlen sein

„Du musst mich gut im Griff haben und wissen, wie ich ticke. Sonst brauchst Du gar nicht erst anzufangen, mit mir zu arbeiten. Meine Eltern können Dir sagen, worauf Du bei mir achten musst. Am besten, Du sprichst mit ihnen.“ 

Das ist David’s Rat an alle Lehrer, die mit Kindern zu tun haben, die unter von fetalen Alkoholschäden leiden. David ist „mein größter Lehrmeister“, sagt Anne-Meike Südmeyer, Grund- und Hauptschullehrerin sowie David’s Pflegemutter. Unter dem Titel ‘Schulkinder mit FASD – Fatale Katastrophe oder fantastische Herausforderung?‘ hat sie jetzt ein vom Schulz-Kirchner Verlag verlegtes Buch geschrieben. Es soll aufzeigen, wie es trotzdem gelingen kann, dass Eltern die Schule als „unterstützende Institution“ erleben und sich nicht permanent auf der Anklagebank fühlen. 

Und wie kann das besser funktionieren, als dass man in diesen Prozess die Betroffenen selbst einbindet? Alle Eltern von Kindern mit fetalen Alkoholschäden wünschen sich nichts mehr, als dass ihre Kinder und sie selbst Ernst genommen werden. Ernst genommen werden in dem, wie ihre Kinder sich selbst erklären und wie sie als Eltern ihre Kinder wahrnehmen, um ihre Potentiale wissen genauso wie um ihre Schwächen. Gegenseitiger Respekt auf Augenhöhe ist das Codewort, das auch nach Ansicht der Autorin Einzug halten sollte beim Miteinander zwischen Kindern, Eltern und Lehrern. 

Schule muss ein „Ort zum Wohlfühlen“ sein, fordert David. Das allerdings ist für Kinder mit fetalen Alkoholschäden nur selten der Fall. Vielmehr ist traurige Realität, dass Eltern, und das oft genug trotz vorgelegter Diagnose, mit dem Satz abgespeist werden: “Ihr Sohn ist selbst- und fremdgefährdend. Unter den gegebenen Umständen ist er nicht mehr beschulbar.“ Nicht einmal eine Lehrer-Kollegin bleibt von derlei Erfahrungen verschont. Anne-Meike Südmeyer musste sich gar vorhalten lassen, dass ihr Sohn Ausdrücke wie ‚Hurensohn‘ oder ‚Fick deine Mutter ins Grab‘  aus dem häuslichen Bereich haben muss. 

Dass selbst einer Lehrerin nicht mit dem nötigen Respekt und der nötigen Wertschätzung begegnet wird, offenbart den Graben. Über den muss dringend eine Brücke gelegt werden. Damit „Eltern Schule als unterstützendes System erleben, aber nicht als Institution, die zusätzlichen Druck auf die oft schon genug belasteten Familien ausübt“, so der Wunsch der Buch-Autorin. Und wie funktioniert das am besten? Mit authentischer Aufklärung! Das gelingt Anne-Meike Südmeyer zusammen mit ihrem 13jährigen Sohn allein schon aufgrund gelebter Expertise. Die Themen dazu bereitet sie entsprechend auf: die schwierige Wahl der geeigneten Schule, die Notwendigkeit Löweneltern zu sein und den Umgang mit hirnorgangeschädigten Schülern. Letzteres Thema dominiert das Werk und ist der Part von Pflegesohn David. Er habe, so seine Mutter, die “Tipps für den Umgang“ diktiert. Ihre Aufgabe war es dann noch, sie entsprechend zu erläutern.

Traurig ist, dass David wie fast alle Kinder mit fetalen Alkoholschäden und ihre Eltern erleben mussten, wie alleine sie sind, wenn das Kind als das schlimmste der ganzen Schule gilt und nur noch Ausgrenzung erfährt. Umso wertvoller ist dieses Buch, das gewiss dazu beitragen wird, diese Schicksale zu verhindern.

Rezensentin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

“Es berührt mich zutiefst”

Für junge Erwachsene mit fetalen Alkoholschäden ist der Weg in die Arbeitswelt in aller Regel eine Tortur. Sofern sie keinen verminderten Intelligenzquotienten haben, wird von ihnen grundsätzlich erwartet, dass sie eine Ausbildung absolvieren. Stellen sie sich beim Arbeitsamt vor, machen sie stets einen guten Eindruck, sind eloquent, freundlich und zeigen sich willig. Auf den ersten Blick scheint es für den Mitarbeiter des Arbeitsamtes so, als habe der Kandidat ausreichend Fähigkeiten und keine Verständnisprobleme. Das Fetale Alkoholsyndrom, sofern in einem Gutachten ausgeführt, stößt leider oft auf Unverständnis, weil nicht bekannt. Auch dann, wenn die begleitenden Eltern oder Betreuer die unsichtbare Behinderung erläutern. Konzentrationsprobleme? Überforderung? Geringe Aufmerksamkeitsspanne? Kein Zeitgefühl? “Ach, so schlimm kann das nicht sein. Das wird schon”, wird da abgewunken und beruhigt, “andere schaffen das auch und die haben viel schlimmere Handicaps.” Aha! Und so beginnt der Leidensweg. Ausbildungen werden begonnen und wieder abgebrochen, einmal, zweimal, dreimal. Arbeitgeber beenden immer wieder das Arbeitsverhältnis wegen untragbaren Benehmens. So geht das über Jahre, oft viele Jahre. 

Nicht so bei Luca. Luca hatte Glück und eine ganz wunderbare persönliche Ansprechpartnerin. Es war ihr ein persönliches Bedürfnis, darüber zu schreiben:

Mein Name ist Kathrin Weißberg. Ich bin die persönliche Ansprechpartnerin für Jugendliche (U25 – unter 25-jährige) im Kommunalen Job Center Lahn-Dill. Meine Aufgabe ist es, Jugendliche Arbeitslosengeld II – Bezieher*innen auf Ihrem Weg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu unterstützen und ihnen beratend zur Seite zu stehen. 

Es ist Sommer im Jahr 2020. Ich bekomme einen neuen Kunden namens Luca. Luca ist 19 Jahre und in diesem jungen Alter bereits zu 80 Prozent schwerbehindert mit dem Merkmalen G und B und bis zum 18. Lebensjahr auch „H“, welches für „hilflos“ steht. Dies kommt in der U25-Betreuung zwar vor, aber dennoch ist es zum Glück eher selten. 

Was steckt hinter Lucas Behinderung? Was sind seine Ziele, seine Pläne? Ich versende eine Einladung zur telefonischen Beratung an die Adoptivmutter von Luca, die auch gleichzeitig seine gesetzliche Betreuerin ist, um mehr zu erfahren. Eine persönliche Begegnung ist derzeit wegen der Covid-19- Pandemie leider nicht möglich. 

Luca’s Adoptivmutter berichtet, dass Luca an dem FAS-Syndrom leidet. FAS… schon mal gehört, aber für was steht die Abkürzung nochmal? Was hat Luca genau? Was sind die Folgen des FAS? Hat er Chancen, mit meiner Unterstützung eine Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt zu finden? Fragen über Fragen, die mich beschäftigen. 

Luca’s Mutter berichtet, dass ihr Sohn aufgrund des Fetalen Alkoholsyndroms leider nicht in der Lage sein wird, eine Ausbildung zu absolvieren. Aufgrund seiner Behinderung werde er auch den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes wahrscheinlich nicht im üblichen Rahmen standhalten können. Luca komme aufgrund des FAS mit zu viel Druck nicht klar, seine Aufmerksamkeitsfähigkeit nehme im Laufe des Tages ab. Nach der Schule habe er in Q+B-Maßnahmen aber schon bis zu sechs Arbeitsstunden gut geschafft. Aktuell nimmt Luca an einer Maßnahme der Reha-Berufsberatung der Agentur für Arbeit teil, welche speziell für Menschen mit einer Behinderung konzipiert wurde. Sie nennt sich „unterstützende Beschäftigung“ und kann bis zu zwei Jahre dauern. In dieser Zeit kann Luca verschiedene Betriebspraktika absolvieren und wird währenddessen vollumfänglich unterstützt, damit er in einer regulären Arbeitsstelle Anschluss finden kann. 

Im ersten Moment bin ich schon einmal froh, dass Luca bei der Reha-Berufsberatung der Agentur für Arbeit angedockt ist, denn hier ist er genau an der richtigen Stelle. Man nimmt Rücksicht auf seine gesundheitlichen Einschränkungen und es wird versucht, eine für ihn geeignete Arbeitsstelle zu finden, bei der er auch mit seinen Handicaps gut klarkommt und auf die man Rücksicht nimmt. In der U25-Arbeitsvermittlung des Jobcenters hätte Luca vermutlich keiner der Maßnahmen Stand halten können. In der Vergangenheit kam es schon zum Abbruch von Maßnahmen oder auch „Sprengung von Gruppen“. Jedoch kann Luca nichts dafür. Grund war jedes Mal Überforderung, weil er falsch eingeschätzt worden war. Es sind die Hirnschädigungen, die seine Reaktionen hervorrufen, erklärt mir seine Mutter. Dies war mir nicht bewusst, denn vorher hatte ich noch nie einen Kunden, der an FAS gelitten hat, beziehungsweise dies diagnostiziert wurde. 

Jedoch klärt mich Luca’s Adoptivmutter auf. Dafür bin ich sehr dankbar, denn es ist ein so wichtiges Thema, das anscheinend immer noch nicht publik genug ist. Deshalb kommt es immer wieder dazu, dass Babys zur Welt kommen, die an FAS leiden. Dabei kann es doch so einfach sein: Hände weg vom Alkohol in der Schwangerschaft und das Baby entgeht ganz einfach den Folgen des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft. Welche Einschränkungen sich für das Kind aus dem Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft ergeben, wird erst später klar. Warum sind weiterhin nicht alle Frauen für dieses Thema sensibilisiert? Das macht mich sehr betroffen. Anscheinend ist eine noch größere Aufklärung hierfür notwendig, am Besten bereits an Schulen, um die Schüler und Schülerinnen für dieses Thema und dessen verheerende Folgen zu sensibilisieren oder vielleicht sogar bis zu Warnhinweisen auf alkoholischen Getränken , die auf die Gefahren bzw. Folgen bei 

Alkoholkonsum während der Schwangerschaft explizit hinweisen? Ungefähr so wie die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln? 

Der Fall von Luca berührt mich zutiefst, denn er hat es nicht leicht – auch seine Adoptivmutter nicht. Sie kümmert sich mit vollem Einsatz und Herzblut um Luca’s Zukunft. Luca hat großes Glück mit ihr. Ich bewundere sie für ihre Kraft, Stärke und Liebe, die sie an ihr Kind weitergibt. 

Angedacht ist nun ein Übergang in das „Betreute Wohnen“. Allein dies kann bis zu mehreren Monaten dauern, bis ein Platz frei wird und eine Unterbringung gefunden wurde, die sich mit FAS auskennt. Es ist wichtig, dass sich die Betreuungseinrichtung mit FAS auskennt, damit Luca adäquat unterstützt wird und das betreute Wohnen nicht gefährdet wird und es zu einem Abbruch kommt. Nur leider gibt es bislang sehr wenige Betreuungseinrichtungen, die auf FAS spezialisiert sind. Luca wird weiterhin sein Leben lang spezielle Hilfen benötigen, um in einem geschützten Rahmen eine Tätigkeit zu finden und ausüben zu können. Er braucht starke Betreuer an seiner Seite, die ihm helfen und Rückhalt geben, wenn die FAS-Symptomatik wieder zu heftig wird. 

Ich wünsche Luca alles nur erdenklich Gute und bin dankbar, dass ich zu dieser so „einfach vermeidbaren“ Krankheit so viel (Persönliches) erfahren durfte. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass FAS noch mehr an Präsenz gewinnt und mehr Aufklärung erfolgt. 

“Fühlt sich an wie eine Ohrfeige”

Sie hat sich in ihrer Schwangerschaft jede Woche dreimal ein halbes Glas Wein gegönnt, die US-amerikanische Professorin für Ökonomie, Emily Oster, die für Furore sorgt mit ihrem allen Ernstes so genannten Werk: “Das einzige wahre Schwangerschaftshandbuch”. 

Hat die 41jährige doch tatsächlich allein anhand von Studien und Statistiken herausgefunden: Es gibt “keine stichhaltigen Beweise, dass eine geringe Menge Alkohol die kognitive Entwicklung des Ungeborenen beeinträchtigt.” Das lässt für die Akademikerin die für sie logische Schlussfolgerung zu: “Mal ein Glas zu trinken, scheint nicht zu schaden.”

Dergestalt waren die Einschätzungen der Ökonomin jüngst in einem ZEIT-Magazin-Interview zu lesen, garniert mit der Headline “Ein Glas Wein scheint in der Schwangerschaft nicht zu schaden.”

Die kollektive Empörung hierzulande ließ nicht lange auf sich warten. Und so sah man sich hinter den Backsteinmauern des ehrwürdigen Hamburger ZEIT-Verlagshauses genötigt nachzulegen und ein weiteres Interview zum Thema online zu stellen (allerdings nur für sehr kurze Zeit); Vertreter des Hamburger FASD-Zentrums durften zu den Oster-Thesen Stellung beziehen.

Das einzig wahre Ergebnis: “Kein Tropfen, null Komma null!”

Tobias Wolff, Vater dreier Pflegekinder, von denen zwei unter fetalen Alkoholschäden leiden, der obendrein Mitbegründer des Hamburger FASD-Zentrums ist, machte ohne Umschweife deutlich: “Zu lesen, dass das Thema Alkohol in der Schwangerschaft zu streng gesehen werde, fühlt sich an wie eine Ohrfeige. Ich halte oft Vorträge in Jugendämtern oder Schulen zur Fetalen Alkoholspektrumsstörung. Das Unwissen ist riesig. Selbst manche Sonderpädagogen haben noch nie etwas davon gehört.” 

Erst neulich habe ein Gynäkologe einer schwangeren Mitarbeiterin geraten, ruhig ein Glas Sekt zu trinken, wenn der Kreislauf in den Keller geht, untermauerte die Ausführungen auch Dr. Jan Oliver Schönfeld, Neuropädiater und ebenfalls Mitgründer des Hamburger Fachzentrums für fetale Alkoholschäden.

Wie zumindest alle Experten des Fetalen Alkoholsyndroms weltweit wissen: Es gibt keine wissenschaftlich erwiesene Menge Alkohol, die unbedenklich für das Ungeborene wäre. Und, so Schönfeld: “Wie viel Promille Alkohol dann Schäden anrichten, ist bei jedem Baby unterschiedlich. Ich habe kleine Patienten, wo ein Glas Alkohol pro Tag reichte, um schwere Wachstumsschäden hervorzurufen, und kenne Zwillinge, von denen das eine stark alkoholgeschädigt, das andere gesund ist.”

Aber wieso kommen Untersuchungen, auf die sich Emily Oster bezieht, für ein bis zwei Gläser Wein zu weniger beunruhigenden Ergebnissen?, fragt die ZEIT. Denn dort sei kein Zusammenhang gefunden worden zwischen Alkoholkonsum und dem IQ des Kindes*

Der Hamburger Neuropädiater dazu: “Das liegt zum einen an der Methodik dieser erwähnten Studien. Um den Effekt von Alkohol exakt zu untersuchen, reicht keine einfache Befragung, wie sie in den Studien gemacht wurde, auf die Oster sich bezieht. Um wissenschaftlich wasserdicht zu beweisen, ob und wieviel Alkohol schädigt oder nicht, müssen Studien anders konzipiert sein: Eine Gruppe Schwangere müsste jeden Abend Schnaps trinken, eine zweite Gruppe jeden Mittag ein Glas Wein und die dritte Gruppe bliebe zur Kontrolle abstinent. Zusätzlich dürften weder die Probandinnen noch die Wissenschaftler wissen, wer in welcher Gruppe ist. Das nennt man Doppelblindstudie.

Ein solche Studie wäre natürlich völlig unethisch – man würde schwere Alkoholschädigungen bei den ungeborenen Kindern riskieren.”

Hinzu komme, so der Hamburger Arzt, dass Alkohol in der Schwangerschaft ein großes Tabuthema sei. Viele Frauen verschwiegen aus Scham getrunken zu haben. Darüber hinaus seien in den Untersuchungen, die die US-amerikanische Professorin angeführt habe, Fragen gestellt worden, die an den Problemen der FAS-Probleme vorbeigingen. Wie alle FAS-Experten weiß auch Schönfeld: “In den IQ-Tests schneiden Kinder mit dem Fetalen Alkoholsyndrom häufig sehr gut ab. Selbst in der Schule sind sie häufig überangepasst, tragen dem Lehrer die Tasche hinterher.”

Der FAS-Experte Dr. Reinhold Feldmann aus Münster und Supporter unserer Kampagne ergänzt auf Nachfrage zu Oster’s Studienanalyse: “Es reicht deshalb nicht aus, weil man nicht einfach Forschungsergebnisse durchsehen und dann aufzählen kann, nach dem Motto: drei sind dafür, vier dagegen. Es bedarf durchaus fachlicher Kenntnisse, die Studien im Detail zu verstehen und auch zu werten. 

Tatsächlich gab es in letzter Zeit einige Studien, demzufolge geringere Mengen Alkohol sich später beispielsweise bei den Schulnoten der Kinder nicht negativ auswirkten. Die Autoren der Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Alkohol also nicht schädlich sei, solange in geringen Mengen getrunken. Negative Auswirkungen auf die Schulnoten sind aber auch zuvor von niemandem behauptet worden. Bestätigt worden sind hingegen in diesem Kontext, dass es bei geringem Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zu Verhaltensauffälligkeiten, Unruhe, Konzentrationsmangel und Vergesslichkeit kommt.

Das heißt in der Schlussfolgerung: Man muss genau lesen und genau hinschauen. Man muss auch nichts dramatisieren, das ist klar. Aber es gilt weiterhin, dass es für den Alkoholkonsum in der Schwangerschaft keinen sicheren Schwellenwert gibt, das Kind also sicher sei, wenn ein solcher Schwellenwert nicht überschritten würde.”

Außerdem warnt Feldmann vor Bagatellisierung: “Es ist durchaus sinnvoll, das ‘Gläschen’ Alkohol in der Schwangerschaft nicht zu bagatellisieren. Anders als die Autorin Oster behauptet, ist leider gerade diese Bagatellisierung riskant. Was ein Gläschen sei, versteht wohl jede Schwangere anders. Wenn also von einem Gläschen oder einem Schlückchen bagatellisierend die Rede ist, darf man wirklich zurück fragen, wer denn wohl eine Flasche Bier öffnet, um danach ein Schlückchen zu nehmen oder die restliche Flasche Wein nach einem Gläschen wegkippt.” 

*Pediatric Research: Alati et.al.;2008/ Early Human Development: O’Cullighan et al.;2007 / European Journal of Clinical Nutrition: Parazzini et.al.;2003

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Drei FAS-Kinder mit Pflegegrad? – Wir gründen eine Wohngruppe!

“Mein erstes Pflegekind war mit seinen damals drei Jahren wohl Deutschlands jüngster Arbeitgeber”, sagt lachend Anja Bielenberg, Mutter von acht Kindern – fünf leiblichen und drei Pflegekindern. Alle drei Pflegekinder sind vom Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) in den verschiedensten Facetten betroffen. Aber “alle drei gleichermaßen leiden unter der alkoholbedingten Demenz, die sie merklich beeinträchtigt und selbst stört”, wie sie betont. Alle drei haben Pflegegrad 4 und einen Schwerbehindertenausweis mit 60 Prozent und den Merkzeichen B, G, und H.

Das erste sogenannte Milieukind aus einer norddeutschen Großstadt hat Anja, die in ihrem Haus eine Praxis für Geburtsvorbereitung, Mamahilfe, Hypnose, Doula und FASD-Beratung betreibt, vor 17 Jahren bei sich aufgenommen. Ein Hinweis, das Kind könnte fetale Alkoholschäden haben – Fehlanzeige. Anja selbst wusste zu dem Zeitpunkt auch noch nichts über das FAS. Da das Kind aber nicht aufhöhren wollte zu schreien und sich zu übergeben, “dachte ich, hier stimmt etwas nicht.” 

Nach langen Recherchen im Internet stieß die engagierte Pflegemutter auf einen Bericht über FAS, der sie sofort zum Weinen brachte. Mit ihren Erkenntnissen marschierte Anja zum Jugendamt. Die haben aber nur gefragt, was das denn nun wieder sein soll”, erinnert sich die 52jährige nur allzu gut an die ablehnende und missbilligende Haltung. Heißt: Der Kampf konnte beginnen und sollte Jahre dauern. Anja kam sich vor, als sei ihr Kind das einzige mit FAS auf der Welt. Sie selbst sei so dargestellt worden, als sei sie vom Münchhausen-Syndrom* befallen. 

Inzwischen kann der dreifachen Pflegemutter niemand mehr die Butter vom Brot nehmen. Sie muss auch nicht mehr kämpfen. Sie weiß, was zu tun ist: Sie stellt Anträge, benennt klare Quellen, stellt Forderungen, hinterfragt Antragsabweisungen und scheut sich nicht diese einzuklagen. Selbst die Krankenkasse hat klein beigegeben, als die streitbare Pflegemutter die Anerkennung einer Wohngruppe einforderte. Nach einem ersten “Wie? Eine Wohngruppe für Kinder? Das gibt es nicht. Hier gibt es nur Wohngruppen für Senioren”, musste die Krankenkasse zugestehen: Es handelt sich um einen Rechtsanspruch – egal welchen Alters**.

Voraussetzung für den Anspruch ist, dass die betroffenen Personen wenigstens den Pflegegrad 1 haben. “Aber es sind noch andere Auflagen an den Anspruch geknüpft”, erläutert die Pflegemutter. Beispielsweise muss es einen gemeinsamen Zu- und Hauseingang geben. Außerdem erforderlich: gemeinsame Küche, gemeinsamer Essbereich, gemeinsame sanitäre Anlagen.

Und wie sehen die Leistungen aus, die einer Wohngruppe zugute kommen? 

Anja listet auf: “Es gibt einen Investitionszuschuss für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, die die Wohnstätte bedürfnisorientiert dem Pflegegrad entsprechend ausstattet. Pro Bewohner beträgt dieser 4000 Euro. Außerdem gibt es einen einmaligen Zuschuss für die Gründung der Wohngemeinschaft, der bei 10.000 Euro liegt. “Allerdings”, weißt Anja darauf hin, “muss man für die Leistungen in Vorkasse treten und für die Rückerstattung eine detaillierte Abrechnung vorlegen.” 

Weiter geht es mit laufenden Leistungen: “Ich habe im Namen der Kinder drei Assistenzkräfte im Rahmen des persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX*** als 1 : 1-Vollzeitschulbegleiter eingestellt”, so Anja. Da habe dann gleich die Berufsgenossenschaft aufgejault und moniert, dass ein Kind kein Arbeitgeber sein könne. “Doch, kann!”, konstatiert Anja triumphierend.

Zusätzliche Betreuung erhält die Wohngemeinschaft, die sich Schneckenhaus nennt, über § 45 SGB XI.**** Die Pflegemutter: “Es muss eine externe Person sein, die hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernimmt, zum Arzt, Therapeuten oder Friseur begleitet. Schließlich kommt noch die Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI hinzu, damit auch ich zum Arzt, zum Friseur, etc. gehen kann und die Kinder während dieser Zeit versorgt sind.”

Das Ganze sei eine Lebensaufgabe, gesteht Anja. Nur so ein bisschen integrativ, das werde nichts. Anja: “Ich habe echt lange gebraucht, bis ich das alles hingekriegt habe und habe wirklich viele graue Haare bekommen. Aber jetzt, nach Jahr sechs, fängt das alles an rund zu laufen. Eines der Kinder geht inzwischen schon in die Werkstätten arbeiten und ich musste dafür noch nicht einmal einen Antrag stellen.” Süffisant sagt die Achtfach-Mutter: “Ich war plötzlich ganz hilflos.”

Aber Spaß beiseite. Man müsse an viele grundsätzliche Dinge denken, die von immanenter Bedeutung seien: “Hat die leibliche Mutter noch das Sorgerecht und man klagt gegen Entscheidungen, zum Beispiel, dass die Diagnose nicht anerkannt wird, und benötigt einen Anwalt, dann muss man den aus der eigenen Tasche bezahlen. Ist man gesetztlicher Vormund des Kindes, dann trägt der Staat die Prozess- und Anwaltskosten.”

Inzwischen sind übrigens alle leiblichen Kinder bis auf das jüngste, das so alt ist wie das erste Pflegekind, aus dem Haus. “Wir haben aber von Anfang an viel Platz gehabt”, erzählt die 52jährige. Es mache sehr viel aus, ob man mit solchen Kindern auf dem Land wohne mit viel Platz und Rückzugsmöglichkeiten. Das erleichtere vieles.

*Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom bezeichnet das Erfinden, Übersteigern oder tatsächliche Verursachen von Krankheiten oder deren Symptomen bei Dritten. Zumeist handelt es sich dabei um Kinder. Ziel ist es dabei, eine medizinische Behandlung zu verlangen und/oder um selbst die Rolle eines scheinbar liebe- und aufopferungsvoll Pflegenden zu übernehmen.

**§ 38a SGB XI Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen

(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn1.sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind,2.sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45a oder § 45b beziehen,3.eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen, und4.keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten nicht erbracht wird, sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann.

***§ 29 SGB IX Persönliches Budget

(1) Auf Antrag der Leistungsberechtigten werden Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines Persönlichen Budgets ausgeführt, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Bei der Ausführung des Persönlichen Budgets sind nach Maßgabe des individuell festgestellten Bedarfs die Rehabilitationsträger, die Pflegekassen und die Integrationsämter beteiligt. Das Persönliche Budget wird von den beteiligten Leistungsträgern trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht. Das Persönliche Budget kann auch nicht trägerübergreifend von einem einzelnen Leistungsträger erbracht werden. Budgetfähig sind auch die neben den Leistungen nach Satz 1 erforderlichen Leistungen der Krankenkassen und der Pflegekassen, Leistungen der Träger der Unfallversicherung bei Pflegebedürftigkeit sowie Hilfe zur Pflege der Sozialhilfe, die sich auf alltägliche und regelmäßig wiederkehrende Bedarfe beziehen und als Geldleistungen oder durch Gutscheine erbracht werden können. An die Entscheidung sind die Leistungsberechtigten für die Dauer von sechs Monaten gebunden.

(2) Persönliche Budgets werden in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich. In begründeten Fällen sind Gutscheine auszugeben. Mit der Auszahlung oder der Ausgabe von Gutscheinen an die Leistungsberechtigten gilt deren Anspruch gegen die beteiligten Leistungsträger insoweit als erfüllt. Das Bedarfsermittlungsverfahren für laufende Leistungen wird in der Regel im Abstand von zwei Jahren wiederholt. In begründeten Fällen kann davon abgewichen werden. Persönliche Budgets werden auf der Grundlage der nach Kapitel 4 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten, die ohne das Persönliche Budget zu erbringen sind. § 35a des Elften Buches bleibt unberührt.

****§ 54 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe

(1) Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach § 140 und neben den Leistungen nach den §§ 26 und 55 des Neunten Buches in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung insbesondere1.Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt,2.Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule,3.Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit,4.Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56,5.nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben.

Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

(2) Erhalten behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen in einer stationären Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe, können ihnen oder ihren Angehörigen zum gegenseitigen Besuch Beihilfen geleistet werden, soweit es im Einzelfall erforderlich ist.

(3) Eine Leistung der Eingliederungshilfe ist auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit eine geeignete Pflegeperson Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht in ihrem Haushalt versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Die Pflegeperson bedarf einer Erlaubnis nach § 44 des Achten Buches.

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

“Weniger ist mehr” – Unsere Berliner Botschafter-Zwillinge blicken zurück auf 2020

“Gerade für uns Menschen mit fetalen Alkoholschäden ist jede neue ungewohnte Situation stressig und kann uns gleich in ein tiefes Loch fallen lassen”, sagt Luise Andrees. Die Befürchtung stand deshalb erst einmal im Raum, als der erste Lockdown ausgerufen wurde. Zumal Luise und ihre Schwester Clara, wie alle anderen Schüler, von jetzt auf gleich ins Homeschooling geschickt wurden und gar nicht gleich realisierten, dass sie von nun an ausschließlich auf sich alleine gestellt von zu Hause würden lernen müssen. 

“Die Zoom-Meetings mit den Lehrern waren nicht wirklich erfüllend für uns, bewirkten eher das Gegenteil, nämlich noch mehr Stress. Es mussten neue Techniken erlernt werden. Wir mussten lernen, mit der neuen Situation umzugehen”, erinnert sich die 27jährige Luise. Und das mitten in der Vorbereitungsphase auf die Abschlussprüfung für ihre Ausbildung zu Heilerziehungspflegerinnen. Eine große Herausforderung für die Zwei.

Zwar sind Luise und Clara Zwillinge und klar war: “Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und uns gegenseitig Kraft und Halt geben, schaffen wir die Prüfungen nicht.” Dennoch ist jeder Zwilling anders mit der Situation umgegangen. Luise: “Clara war diejenige, die sich viel mit ihren Mitschülern ausgetauscht und Fragen gestellt hat. Ich hingegen habe mich eher des Internets bedient und der Schulbücher, die wir gestellt bekommen haben. Ich habe den Austausch mit den Mitschülern per Zoom eher als anstrengend empfunden. Außerdem haben wir uns Hilfe gesucht bei unseren Eltern, Freunden und Bekannten und unserem Vertrauenslehrer.”

Jedenfalls habe sie diese “krasse Phase” des Jahres 2020 gelehrt – egal, was passiere, “der Wille lehrt einen und man schafft dann ganz viel”. So kam es denn auch, dass die beiden ihre Abschlussprüfungen erfolgreich absolviert haben.

Aber nicht nur die veränderten Bedingungen der beruflichen Ausbildung stellte die Zwillinge vor besondere Herausforderungen. Der Lockdown stoppte auch jäh ihrer beider sportliche Freizeitbeschäftigung. Bei Clara der Fußball. Bei Luise das Tischtennis. 

Für Luise war dieser harte Cut besonder schlimm. Sie hatte bis dato nur ihren Sport im Kopf und für fast gar nichts anders mehr Zeit gehabt. “Ich war zuerst sehr traurig und wusste nicht, was ich machen soll. Aber dann merkte ich schnell, dass mir die Zwangspause auch mal gut tut, um zur Ruhe zu kommen. Und diese Ruhe hat mich dazu bewegt mal darüber nachzudenken, dass es auch noch Sachen außerhalb des Sports gibt”, gesteht die junge Frau. Nicht zuletzt merkte Luise schnell, dass, “wenn ich meine Volle-Kanne-Konzentration auf die Schule lege, da viel mehr Produktives und Kreatives herauskommt, als wenn ich Sport und Schule unter einen Hut bringen muss. Es glich fast schon einer Erleichterung.”

Für Clara war der Einschnitt, kein Fußball mehr spielen zu können, nicht so dramatisch. Für sie hatte der Sport ohnehin nur einen Nebenrolle gespielt. Clara war immer schon diejenige gewesen, die länger als ihre Schwester am Schreibtisch gesessen und für Prüfungen gebüffelt hatte, weil sie gemerkt hatte, dass ihre Konzentration nicht reichen würde, sich für beides gleichsam intensiv zu engagieren.

Nicht genug, die Hürde des sportlichen Verzichts genommen und den Abschluss zur Heilerziehungspflegerin geschafft zu haben, Luise gab noch mehr Gas. Sie wollte unbedingt den Führerschein zu machen. Der feste Wille trieb sie an, diesen im Rahmen einer Vollzeit-Intensiv-Woche zu absolvieren. Als das tatsächlich geschafft war, standen dem selbstbestimmten Weg ins Leben sämtliche Türen offen und beflügelte die Zwillinge, einen weiteren einschneidenden Schritt zu gehen. 27 Jahre hatten Clara und Luise immer zusammen gelebt, nun stand an sich zu trennen. Luise wollte mit ihrem Freund zusammen ziehen und Clara allein in der ehemals gemeinsamen Wohnung weiter leben. 

Und so finden Clara und Luise: “Das Pandemie-Jahr 2020 war für uns das Jahr unserer erfüllten Träume!”

Autorin: Dagmar Elsen

Unter Tränen sagt die dreifache Mutter: Jetzt erklärt sich so vieles

“Letzte Woche wollte ich mir zwei Rubbellose kaufen, hatte meinen 12jährigen Sohn dabei, und musste den Ausweis zeigen. Das passiert mir ganz oft. Freitag wurde ich von der Polizei angehalten, ob ich überhaupt Auto fahren darf. Das war nicht das erste Mal. Jetzt habe ich mir schon extra die grauen Haare rauswachsen lassen, damit man sieht, dass ich älter bin. Und trotzdem werde ich angehalten, weil man meint, ich sei noch keine 18 Jahre. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.”

Michaela*, 40 Jahre alt, Vollbild Fetales Alkoholsyndrom (FAS). Sie lebt in Nordrhein-Westfalen mit ihrem Mann und den drei Kindern. Sie ist nur 147 Zentimeter groß, leidet, wie sie selbst sagt, unter eingeschränkter Merkfähigkeit, globaler Intelligenzminderung, Konzentrationsschwächen, einem dreifachen Nierenbecken, Bindegewebsschwäche und steht mit Mathe auf Kriegsfuß.

Dennoch habe sie, wie sie stolz erzählt, in ihrem Leben einiges erreicht. Vier Abschlüsse hat sie gemacht: in Kinderpflege, Heilerziehungspflege, Krankenpflegehilfe und Bürokauffrau. Dafür hat sie aus eigenem Antrieb nach der Hauptschule den Realschulabschluss nachgemacht und schließlich auch das Fachabitur abgelegt. Das Arbeitsamt nötigte sie zu einer Ausbildung als Bürokauffrau. “Das war sehr anstrengend für mich. Aber ich musste das machen, weil ich keine Arbeit gefunden habe”, erläutert Michaela.

Sie habe einige Jahre Vollzeit in der Krankenpflege gearbeitet, erzählt die 40jährige, sei aber vom Arbeitgeber bis zur Erschöpfung ausgenutzt worden: “Ich habe beispielsweise ein Jahr sämtliche Feiertagsdienste von 12 bis 20 Uhr übernehmen müssen, obwohl ich kleine Kinder hatte. Und ständig Extra-Schichten geschoben. Man drohte mir mit Kündigung, wenn ich das nicht mache.”

Irgendwann konnte sie nicht mehr. Sie fühlte sich permanent überfordert. War chronisch erschöpft. Eines Tages schmiss sie den Job. Sie nahm alle möglichen Jobs an. Selbst als sie als Ferkel-Hebamme gearbeitet hat, sagte sie zu ihrem Mann: “Alles besser als der Pflegedienst.” Und der Job auf dem Schweinehof war beileibe kein Zuckerschlecken: “Bei 60-80 Sauen, die in der Nacht gleichzeitig ferkeln, habe ich aus der Sau die Viecher rausgeholt und die toten platten weggeräumt und die Nachgeburten entsorgt. So ‘ne Sau kriegt im Durchschnitt 13-14 Ferkel und Du musst aufpassen, dass sie von der Mutter nicht platt gelegen werden. Das ist ja eng da in der Box und so ‘ne Sau wiegt 140 Kilo. Außerdem musst Du gucken, dass die Ferkel nicht im Geburtskanal stecken bleiben. Da musste ich mit dem Arm bis zur Schulter in die Sau rein und die rausholen.”

Doch auch bei diesem Job, so wie schon bei allen anderen, holte Michaela nach einiger Zeit das Thema Überforderung wieder ein. Sie haderte mit ihrem Schicksal, wollte wissen, warum. Bis dato wusste sie nicht, dass sie FAS hat. “Meine Adoptivmutter”, die, wie sie betont, ihre tatsächliche Mutter ist, “die hat immer gesagt, da könnte etwas sein.” Es war bekannt, dass die biologische Mutter Alkohol in der Schwangerschaft getrunken hat.” Michaela wurde aber nie daraufhin untersucht. In den 80er Jahren sei FAS noch nicht so im Fokus der Öffentlichkeit gewesen. “Es ist ja heute noch ein Tabuthema”, konstatiert und kritisiert Michaela.

Außerdem seien Kindheit und frühe Schulzeit unproblematisch verlaufen, so dass sich nie Handlungsbedarf aufgetan habe. Die Eltern, die noch ein leibliches Kind haben, das zu 100% geistig und körperlich behindert ist, lebten früh den Inklusionsgedanken und förderten ihr Adoptivkind positiv. Montessori heißt das Zauberwort. Die schwerstbehinderte Schwester sei eine der ersten gewesen, die eine Regelschule besucht habe.

Nun aber, Michaela ist 38 Jahre alt, will sie es wissen und lässt sich in der FAS-Erwachsenendiagnostik in Essen untersuchen. Unter Tränen sagt die dreifache Mutter: “Jetzt erklärt sich so vieles.”

Inzwischen bekommt die 40jährige auch psychologische Unterstützung: “Ich habe ganz ganz viel Furcht und heule sehr viel, weil ich mir selber nichts zutraue, was man mir nicht anmerkt, weil ich mir eine Fassade aufgebaut habe, wo man nicht so an mich ran kann.”

Was lässt die Tränen versiegen? “Mein Mann, er nimmt mich wie ich bin. Wir sind vor 18 Jahren zusammengekommen und seit 2005 geheiratet. Wir wussten einfach: das passt! Ich bin so froh, dass ich ihn habe.”

*Vollständiger Name ist der Redaktion bekannt

Autorin: Dagmar Elsen

FAS ist eine Behinderung mit dem Merkmal Hilflosigkeit


Öffentliche Anhörung „Alkoholpräventionsstrategie“

Deutscher Bundestag

3. März 2021

Stellungnahme 

Prof. Dr. Hans-Ludwig Spohr

I.

Im Jahre 2016 erschien im renommierten amerikanischen Journal: Alcohol and Alcoholism eine Kanadische Studie1: Die ökonomische Belastung der Fetalen Alkohol-Spektrum Störung (FASD)in Kanada für das Jahr 2013. Es wurden in dieser komplexen Untersuchung die direkten Kosten “expended for health care, law enforcement, special education, supportive housing, long-term care, prevention and research“ und indirekte Kosten „of productivity losses of individuals with FASD due to their increased morbidity and premature mortality“ ermittelt und zusammengerechnet.Die Autoren stellten fest, dass insgesamt im Mittel 1,8 Milliarden kanadische Dollar für das Jahr 2013 für Kanada ausgegeben wurden (Minimum 1,3 und Maximum 2,3 Milliarden).Das entspricht 1,44 Milliarden US-Dollar. 

Ergebnis: Haupt-Kostenanteil:

  • Verlust an Produktivität (Krankheitskosten erhöhte Mortalität) =40%
  • Gefängniskosten (correction) = 29%
  • Gesundheitsausgaben (Health care) 10%
  • An letzter Stelle: Prävention und Forschung 0,6%

Kanada hat etwas über 38 Millionen Einwohner (2020); Deutschland hat 83 Millionen (2019): 

Beide Länder sind als westliche Industrienationen mit etwa gleichem Lebensstandard gut vergleichbar. Umgerechnet ergäben sich beispielhaft für Deutschland etwa 3 Milliarden US Dollar oder 2,49 Milliarden Euro jährlich. 

FASD ist ein signifikantes gesundheitspolitisches und soziales Problem, welches erhebliche Ressourcen sowohl sozial als auch ökonomisch in Kanada verbraucht. Viele Kosten könnten erheblich reduziert werden durch die Implementierung effektiver sozialer Politik und Interventionsprogramme.

Soviel zur Relevanz des FASD als nationaler Kostenfaktor.

II.

Ich möchte mich aus der Fülle der Vorschläge und Forderung nur auf den Punkt 7 des Forderungskataloges des FDP-Antrags konzentrieren. Unter Punkt 7 wird Folgendes gefordert:

Die Maßnahmen zur Prävention, Behandlung und Selbsthilfe im Bereich FASD und FAS zu stärken und regelmäßig zu evaluieren.

Zur Diagnose: Viele öffentliche Einrichtungen (vom Jugendamt bis zum Sozialgericht, von der Erwachsenenpsychiatrie bis zum Gesetzgeber) kennen das FASD nicht oder sprechen dem Syndrom kategorisch den Krankheitsstatus ab!

In der „Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD),WHO 10. Revision, Version 2019 findet sich aber ganz eindeutig die Diagnose einer Fetalen Alkohol-Spektrum-Störung (FASD: FAS; partielles FAS, ARND)2. Sie ist dokumentiert in der ICD 10:Q 86.0

Die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten der WHO ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Das FAS ist somit medizinisch eine anerkannte Erkrankung mit einer unterschiedlich intensiv ausgeprägten Behinderung. Dies muss auch in Deutschland gesetzgeberisch abgebildet werden und auch in der Rechtsprechung der Sozialgerichte Akzeptanz finden.

Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) 

7,8 Mio. Menschen in Deutschland sind schwerbehindert. Die VersMedV ist für sie von zentraler Bedeutung. Denn erst die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) und besonders die Zuerkennung des Merkzeichens Buchstabe H= Hilflosigkeit ermöglicht einen Zugang zu vielen Nachteilsausgleichen für behinderte Menschen und stärkt so deren gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung.

Der Grad der Behinderung (GdB) bei einem FAS wird heute von den Versorgungsämtern und Sozialgerichten noch immer unterschiedlich und teilweise nicht nachvollziehbar ermessen und beurteilt; Grundlage dieser Beurteilung ist eben diese Versorgungsmedizin -Verordnung (VersMedV), genauer die Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“. Diese enthält neben allgemeinen Grundsätzen eine Tabelle mit dezidierten Auflistungen von Schädigungen und einer Zahl, die den Grad ihrer Anerkennung beziffert. Die Fetalen Alkohol-Spektrumstörungen sind bisher in dieser Tabelle nicht benannt.

Die VersMedV ist vor diesem Hintergrund bei der Beurteilung der Grad der Behinderung (GdB) der FAS-Betroffenen und ihrer Hilflosigkeit unzureichend.

Mit der VersMedV kann zwar die Hilflosigkeit eines bleibend neurologisch physisch-organisch geschädigten und hilflosen Menschen gemessen werden (wie lange dauert das Füttern, wie lange die hygienische Versorgung, wie intensiv die Begleitung beim Treppensteigen, Laufen etc.). Dies ist aber bei einem dynamischen Krankheitsbild eines FAS mit plötzlichen Exekutiv-Funktionsstörugen oder Impulskontrollstörungen schlicht nicht möglich.

Versorgungsämter erkennen mit Hilfe der insofern unzulänglichen VersMedV in der Regel einen zu geringen Grad der Behinderung (GdB) und kein zusätzliches Merkzeichen H (Hilflosigkeit) an. Das ist beim FASD häufig falsch und führt zu Widerspruch und gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Es wäre an der Zeit, dass die Versorgungsämter und Gerichte die Diagnose eines FAS endlich zur Kenntnis nehmen und als Behinderung mit Hilflosigkeit akzeptieren würden. Eine modernisierte Fassung der VersMedV könnte hierfür eine tragfähigere Grundlage bilden. Die VersMedV ist für Menschen mit Behinderung von zentraler Bedeutung, da erst durch sie der Zugang zu vielen Nachteilsausgleichen ermöglicht wird.

Fazit:

  1. FASD muss als Krankheit in ihrer Schwere und ihrer Behinderung akzeptiert werden.
  2. Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) muss so angepasst werden, dass mit ihr die Hilflosigkeits-Diagnostik auch bei „dynamischen Krankheitsbildern wie das FASD“ erfasst werden kann.
  3. Diese Forderungen könnten rasch umgesetzt.

Diese Forderungen kosten keine große Investition.

Diese Forderungen würden für mehr Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und eine große Hilfe für die Betroffenen und ihre Betreuer im mühsamen Alltag darstellen.

1Swetlova Popopva et al. The Economic Burden of Fetal Alcohol Spectrum Disorder in Canada in 2013. Alcohol and Alcoholism, Volume 51, Issue 3, 1 May 2016, Pages 367–375.

2FAS= Fetales Alkoholsyndrom; pFAS= partielles Fetales Alkoholsyndrom; ARND= durch Alkohol in der Schwangerschaft verursachte entwicklungsneurologische Erkrankung.

Das vertuschte Syndrom

                          Öffentliche Anhörung zum Thema “Alkoholpräventionsstrategie”

                                         im Deutschen Bundestag am 3. März 2021

                                                      Stellungnahme

                                                               Dagmar Elsen

Sie kommen mit einem Loch im Herzen auf die Welt, mit Fehlbildungen oder Skoliose. Manche der Neugeborenen krümmen sich schreiend über Wochen hinweg, sind untergewichtig, bindungsgestört oder apathisch. Als heranwachsende Kinder gelten die meisten von ihnen als faul, frech, unerzogen und delinquent. Die “Schlimmsten” unter ihnen prügeln, schreien, quälen, lügen, stehlen, missachten Regeln und rennen davon. Die Schule ist für sie ein Ort des Grauens, sie fühlen sich als Versager, werden gemobbt und verstoßen, sind oft genug Opfer sexueller Übergriffe.

Es folgen Kita- und Schulverweise, Hilfeplangespräche, Androhungen der Heimunterbringung. Das alles zumeist ohne Sinn und Verstand, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es wird lieber geglaubt, dass die Kinder einen schlechten Charakter haben, sich keine Mühe geben wollen und es den Eltern an Erziehungskompetenz mangelt.

Weder die Kinderärzte, Psychiater und Therapeuten, noch die Pädagogen, Erzieher und Sozialarbeiter erkennen oder wollen wahr haben, um was es sich bei all diesen Kindern tatsächlich handelt: um vorgeburtliche Schädigungen, vor allem Hirnschädigungen, irreversibel hervorgerufen durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft.

Genau so erleben es vor allem Pflege- und Adoptiveltern landauf landab in Deutschland und müssen erbitterte Kämpfe um Anerkennung, Unterstützung und Hilfeleistungen für ihre Schützlinge führen. Seltener dagegen wird von positiven, reibungslosen Erfahrungen berichtet.

Ist das wirklich so, oder bleiben die negativen Beispiele besser in Erinnerung? Wie ist die Gemengelage im Umgang mit dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS)? Was hat sich seit den 70er Jahren, da Mediziner weltweit begannen, sich mit der Materie intensiver auseinanderzusetzen, verändert?

Ich habe in meiner Eigenschaft als Journalistin und Initiatorin der Aufklärungskampagne HAPPY BABY NO ALCOHOL in Berlin, wo der Grand Sengieur der FAS-Forschung, Professor Dr. Hans-Ludwig Spohr, anno 2007 an der Charité das erste FAS-Beratungszentrum Deutschlands gründete, eine Lagebesprechung gemacht. Neben dem international renommierten Experten Spohr befragte ich dazu auch die Ärztin Heike Wolter, die in der Charité, Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie, in seine Fußstapfen getreten ist, befragte Vertreter von Jugendämtern und Trägervereinen, nicht zuletzt zahlreiche Adoptiv- und Pflegeeltern.

Dazu einige Kernaussagen vorab, die selbstredend belegen, dass sich einiges zum Positiven verändert hat, es aber nicht einmal in Berlin eine einheitliche Marschrichtung gibt, obwohl hier die Dichte der Experten am größten ist:

“Wir werden belächelt von Kollegen für unsere Arbeit.” (Wolter, Charité). “Ich kann es nicht mehr hören, wenn die Ärzte im SPZ sagen, sie haben FAS nicht auf dem Schirm.” (Prof. Spohr)

“Wir haben ja mit dem Thema schon lange zu tun, und trotzdem ist es so, dass es erst JETZT ein Thema ist. Davor sind die Eltern ja für bekloppt gehalten worden, ist es als Modediagnose abgetan worden, das war schwierig.” (Heinßen, Verein für Familien und Kinder)

“Ohne dass ich das mit Zahlen belegen kann, ich finde schon, dass sich die Situation in Berlin deutlich geändert hat. Wir kriegen deutlich mehr Anfragen von Pflege- und Adoptiveltern für Diagnostik als vorher. Das Jugendamt selbst fragt auch an, oder die Vermittlungsstellen der Pflegekinder. Dafür halte ich dann auch Slots frei, weil ich das wichtig und unterstützenswürdig finde, wissen zu wollen, ob das Kind von FAS betroffen ist.” (Wolter, Charité)

“Selbst die eindeutige FAS-Diagnose von Professor Spohr, einer echten Kapazität, wurde vom Jugendamt nicht akzeptiert. Und es wurde damit gedroht, uns das Kind wegzunehmen.” (Andrea*, Pflegemutter)

“Ja, es gibt diese schlechten Verläufe, aber es gibt eben auch Pflegeeltern, die ganz viel positive Unterstützung erfahren. Aber das ist, und das muss man ganz klar sagen, das ist nicht die Regel. Klar, es gibt Eltern, die haben einen vernünftigen Sozialarbeiter und die kriegen auch einen Einzelfallhelfer an die Seite gestellt, aber die meisten sind am Betteln und kriegen es nicht.” (Nitzsche und Heinßen, Verein für Familien und Kinder)

“Die Jugendämter arbeiten so unterschiedlich. Es ist immer einzelfallabhängig und deshalb ein ewiger Kampf, weil die Zuständigkeiten ja auch dauernd wechseln. Die Behinderung müsste endlich bundesweit anerkannt sein.” (Leonie*, Adoptivmutter)

“Ich mache seit 40 Jahren Fortbildung bei den Jugendämtern. Der ganze Osten muss noch Geld sparen, die sitzen da und sagen: FAS, das kenne ich nicht, so ein bisschen Alkohol, das macht doch nichts. Es ist wirklich so in den Köpfen.” (Prof. Spohr)

Es haben alle gewusst – die Lehrer, die Eltern in der Schule, das Jugendamt, die Nachbarn, die Ärzte – dass meine Mutter täglich getrunken hat. Aber mir wurde gesagt, dass man nichts für mich tun könne”. (Elvira*, FAS-Betroffene)

Wenn FAS festgestellt ist, “dann muss es auf den Tisch. Dann sehen wir, dass die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet werden.” (Rüttgers, Jugendamt Mitte)

“Wir vermissen Hilfestellung, dass man uns sagt, was unserem Kind weiterhelfen würde.” (Olaf*, Pflegevater)

Vor zwanzig Jahren, da hatte Berlin den Weg in die richtige Richtung eingeschlagen. “Da haben die Kinder IMMER eine Diagnostik durchlaufen, bevor sie vermittelt wurden”, weiß Peter Heinßen, Geschäftsführer des “Vereins für Familien und Kinder”. Inzwischen ist es noch nicht einmal mehr Usus, dass Kinder, die mit Auffälligkeiten zur Welt kommen, gleich ins Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) überwiesen werden. Mikrozephalie, fasziale Auffälligkeiten, ein Loch im Herzen, Kleinwuchs, verdrehte Ohren, etc. – alles Hinweise, dass es sich um fetale Alkoholschäden handeln könnte.

“Es müsste zur Normalität werden, dass diese Kinder auf FAS untersucht werden”, fordert Heike Wolter, Ärztin in der Charité, Abteilung Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie für Kinder und Jugendliche. Doch, allein die Neonatologen haben, wie sie nicht nur Heike Wolter immer wieder gestehen, FAS nicht wirklich auf dem Schirm. Nicht einmal dann, wenn bekannt ist, dass die Mutter drogenabhängig ist und gleichermaßen der Verdacht auf Alkoholkonsum besteht.

“Dabei wäre es schon hilfreich, wenn einfach die Diagnose (für Abusus) auf dem Bericht über das Neugeborene oben drauf steht. Die in der Neonatologie müssen ja gar nicht mehr machen”, erläutert die Charité-Ärztin. Selbst die meisten Ärzte, die in den SPZ arbeiten, haben kein Auge für fetale Alkoholschäden, selbst wenn bekannt sein sollte, dass die Mutter getrunken haben könnte.

Derlei Ausreden mag Professor Hans-Ludwig Spohr nicht mehr hören, denn der springende Punkt ist: “Es hat sich bisher in Deutschland die Ärzteschaft nicht dafür interessiert. Das muss man einfach so sagen.” Einer der Gründe ist sicherlich, dass das Thema Fetale Alkoholschäden in der medizinischen Ausbildung eine sehr untergeordnete Rolle spielt.

Lediglich an der Charité ist das dank Spohr seit 2015 anders. Hier ist FAS für die Zweitsemester Pflicht und sorgt dafür, dass die FAS-Experten künftig nicht mehr von ihren medizinischen Kollegen aus anderen Fachbereichen belächelt werden für ihre Arbeit, so wie auch Heike Wolter immer wieder diese Erfahrung hat machen müssen.

Als nächste in der Pflicht, Fälle von Fetalen Alkoholschäden herauszuarbeiten, stünde die Instanz Jugendhilfe – also die Jugendämter und die freien Träger. Grundsätzlich ist hier Heike Wolter “erstaunt, wie wenig Fälle aus dem Kinderschutzbereich zur Diagnostik kommen.” Des Weiteren lässt sich der Umgang mit dem Thema, auch wenn Berlin einen überschaubaren Rahmen bietet, selbst hier nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

“Das ist von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich. Es ist einzelfallrelevant, vielleicht gibt es Mal Fallhäufungen in einzelnen Jugendämtern oder bei einzelnen Mitarbeitern des Jugendamtes”, sagt der Geschäftsführer des Vereins für Familien und Kinder, Peter Heinßen. Es sei alles möglich, im positiven, wie im negativem, pflichtet ihm Angelika Nitzsche bei, die seit 17 Jahren in der Pflegekinderhilfe tätig ist.

So lässt zum Beispiel der Teamleiter Marco Rüttger beim Jugendamt Mitte verlauten: “Das Fetale Alkoholsyndrom ist bekannt bei uns, es steht jedem frei, sich beim Sonnenhof fortzubilden. Wir haben Material vom (Verein) FASD Deutschland ausliegen. Und wenn wir einen Fall von FAS auf dem Tisch haben, dann sehen wir, dass wir die entsprechenden Maßnahmen einleiten.”

Soweit die Theorie.

In der Praxis sieht das leider oft anders aus. Pflegemutter Andrea kann ein trauriges Lied davon singen. Für ihren Sohn fegte das Jugendamt die FAS-Diagnose aus der Charité von Professor Spohr höchstselbst mit einem Handstreich vom Tisch. Die Pflegemutter sei hysterisch und erzieherisch inkompetent. Den Jungen müsse man nur richtig anpacken und ihm seine Delinquenz austreiben. Die leibliche Mutter betont bis heute, sie habe keinen Alkohol getrunken.

Einerseits regt es Psychiater Spohr auf, dass selbst Diagnosen aus renommierter Hand angezweifelt werden. Anderseits zeigt er auch Verständnis: “Das ist das große Problem. Wenn die leiblichen Mütter nein sagen, sie haben nicht getrunken, dann muss das arme Jugendamt in Marzahn, unterbesetzt wie es ist, entscheiden, und dann kommt die Mutter mit einem Rechtsanwalt.” Diese argumentiere dann sogleich, in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt zu werden.

Kollegin Heike Wolter hatte vor einiger Zeit einen solchen Fall. Es habe sogar ein Erziehungsfähigkeitsgutachten über die leibliche Mutter gegeben, in dem von massivem Alkoholkonsum die Rede gewesen sei. Da die Mutter bei ihrer Behauptung geblieben sei, dass sie keinen Tropfen angerührt habe, musste die FAS-Diagnose zurückgenommen werden.

Juristisch steht das Kindesrecht über dem Elternrecht. In der Praxis, so hat es sich in vielen weiteren Fällen schon bewahrheitet, wird dieses Recht umgekehrt.

Das scheint dazu zu führen, dass so manche Einrichtung das Vorkommen des Fetalen Alkoholsyndroms schlicht und ergreifend negiert. Immer wieder gibt es Rückmeldungen vor allem von Pflegeeltern, die berichten, dass nicht wenige Mitarbeiter von Ämtern und Trägervereinen behaupteten, dass FAS kein Thema sei und sie sich deshalb nicht mit dem Krankheitsbild beschäftigten.

Als die Charité-Ärztin Wolter das hört, kann sie es kaum fassen: “Ich finde es schon erstaunlich, mehr noch, es macht mich sprachlos, dass es noch jemanden gibt heutzutage, der einfach sagt, das gibt es nicht.”

Es geht aber auch ganz anders: Das Kind Ben*, mit sechs Monaten an Pflegeeltern vermittelt, wird in der Kita FAS-auffällig, kommt sofort ins Sozialpädiatrische Zentrum und landet bei Heike Wolter, die den Verdacht bestätigt. Sodann übernimmt eine Charité-Kollegin die Aufgabe, die Mitarbeiter in der Kita über FAS, die Beeinträchtigungen und den Umgang damit aufzuklären.

Der Antrag für den Pflegegrad bei der Krankenkasse wird in die Wege geleitet, die zur Entlastung der Pflegeeltern eine Pflegepatenschaft finanziert. Das Jugendamt genehmigt ohne Diskussionen sofort den erweiterten Förderbedarf. Über den Betrag dürfen die Pflegeeltern frei verfügen. Das Kind bekommt Ergotherapie und passgenauen Schwimmunterrricht. Nicht zuletzt wird ihm ein Integrationshelfer in der Kita zur Seite gestellt.

Die Liste positiver wie negativer Beispiele in Berlin lässt sich beliebig fortsetzen. Einig sind sich alle Akteure auf dem FAS-Parkett: Die Situation in Berlin hat sich zugunsten der Bereitschaft zur Aufklärung, Fortbildung, Diagnostik und Unterstützung Betroffener und ihrer Familien vor allem in den vergangenen fünf Jahren deutlich verbessert.

Aber ausreichend?

Noch lange nicht, wenn 44% der Deutschen nicht wissen, um was es sich beim Fetalen Alkoholsyndrom handelt und das berühmte “Gläschen zum Anstoßen” auch für Schwangere gutheißen.

Es ist überfällig, dass das Fetale Alkoholsyndrom endlich bundesweit als Behinderung anerkannt wird.

*Auf Wunsch und zum Schutz sind nur die Vornamen benannt

FAS muss zur bundesweit anerkannten Behinderung werden

Am 3. März tagt der Gesundheitsausschuss im deutschen Bundestag. Die FDP-Fraktion hat, wie berichtet, einen Antrag mit zehn Forderungen eingereicht. Wir von HAPPY BABY NO ALCOHOL möchten den Forderungskatalog um weitere Punkte ergänzen. Als besonders maßgebend empfinden wir, da es von grundlegender Bedeutung ist, dass das Fetale Alkoholsyndrom bundesweit als Behinderung anerkannt wird.

Ohne die Anerkennung als Behinderung fehlt es allerorten an Verständnis, dass die betroffenen Menschen Hilfe und Unterstützung brauchen.

Ohne die Anerkennung als Behinderung sind Eltern, Pflege- wie Adoptiveltern betroffener Kinder und erwachsene Betroffene im kräftezehrenden Einzelkampf der Willkür der Ärzte, Ämter und Behörden ausgesetzt.

Ohne die Anerkennung als Behinderung sind nötige Therapien, Kindergarten- und Schulbegleiter, Familienhilfen und dergleichen nur mühsam, wenn überhaupt, durchzusetzen.

Antrag der FDP-Fraktion/Drucksache 19/26118:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Prävention von FASD und FAS vorzulegen, das flächendeckend alle schwangeren Frauen während ihrer Schwangerschaft mehrmals erreicht und den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft vermeiden soll,

  2. ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Prävention von FASD und FAS vorzulegen, das das Wissen über die schädliche Wirkung von Alkohol für ungeborene Kinder in der Bevölkerung deutlich verbessert,

  3. zeitnah eine Aufklärungskampagne durch die BZgA zu veranlassen, in der die gesamte Bevölkerung über die Gefahren des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft informiert wird,

  4. Programme und Hilfsangebote für alkoholkranke Frauen mit Kinderwunsch und für alkoholkranke Frauen in einer Schwangerschaft aufzulegen und zu erweitern, die den Alkoholkonsum der Frauen während der Schwangerschaft deutlich reduzieren oder vermeiden,

  5. gemeinsam mit den Ländern eine flächendeckende Untersuchung von Kin- dern auf FASD und FAS möglichst im Rahmen der U-Untersuchungen ein- zuführen und auszubauen,

  6. das Personal im Gesundheitswesen, der Pflege, in Einrichtungen für behin- derte Menschen sowie in Schulen, Kindertagesstätten, Vereinen und Verbän- den über FASD und FAS aufzuklären und zu sensibilisieren,

  7. die Maßnahmen zur Prävention, Behandlung und Selbsthilfe im Bereich FASD und FAS zu stärken und regelmäßig zu evaluieren,

  8. die benötigen finanziellen Mittel von Seiten des Bundes für diese Maßnahmen durch Umschichtungen bei den bestehenden Sucht- und Präventionspro- grammen im Einzelplan 15 des Bundeshaushalts und durch Nutzung beste- hender Haushaltsmittel im Bereich der Alkoholprävention zur Verfügung zu stellen,

  9. dem Bundestag jährlich zum 31. März über die Fortschritte zur Verminderung von FASD und FAS zu berichten,

  10. dem Bundestag zum 31. Dezember 2021 die Ergebnisse der Nummern 1 bis 8 zu berichten.

 

Ergänzende Forderungen von HAPPY BABY NO ALCOHOL

1. Bundesweite Anerkennung, dass FAS eine Behinderung ist, die Ämter, Behörden und Krankenkassen damit verpflichtet, entsprechende Unterstützung und Hilfeleistungen zu gewähren

2. Festlegung bei der Beurteilung des Grades der Behinderung: FAS-Vollbild generell mindestens 80% und FASD mindestens 50%

3. Die Aktualisierung/Anpassung des Merkzeichens H für hilflos bei der Bestimmung des Behinderungsgrades. Hilflosigkeit darf nicht nur auf körperliche Einschränkungen und dauerhaft hirnorganische Schäden abzielen.

4. Ausbildung und Fortbildung auf FAS in allen medizinisch und therapeutisch relevanten Berufen einschließlich der Ämter und Behörden muss zur Pflicht werden…

Bsp: Im Medizinstudium ist an der Charité im zweiten Semester Pflicht, FAS zu belegen

5. Festlegung der Aufklärungspflicht im Lehrplan ab Grundschule

6. Untersuchungspflicht beim SPZ, sobald Kleinwüchsigkeit, typische Gesichtsmerkmale, verkleinerter Kopf, Loch im Herzen, etc. und/oder Wissen um eine Alkoholexposition der Mutter vorliegt oder diese im Geburtsbericht vermerkt ist

7. Verpflichtung der Jugendämter, über FAS und die Auswirkungen zu informieren, ebenso die Verpflichtung, dass die Pflege- und Adoptiveltern aufgeklärt werden, selbst wenn nur der Verdacht auf fetale Alkoholschäden vorliegt

8. Unterstützung und Fortbildung für Pflege- und Adoptiveltern mit FAS-Kindern

9. Schaffung von Wohnformen für FAS-Betroffene

10. Einrichtung von adäquaten Beschäftigungsprogrammen

11. Stärkung des Kindesrechts, dass Kinder auch gegen den Willen der leiblichen Mutter diagnostiziert werden können, sobald der Verdacht auf fetale Alkoholschäden aufkommt

12. Verpflichtende Einführung von Warnpiktogrammen auf alkoholhaltigen Getränken wie es in unseren Nachbarländern schon lange Usus ist