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“Weniger ist mehr” – Unsere Berliner Botschafter-Zwillinge blicken zurück auf 2020

“Gerade für uns Menschen mit fetalen Alkoholschäden ist jede neue ungewohnte Situation stressig und kann uns gleich in ein tiefes Loch fallen lassen”, sagt Luise Andrees. Die Befürchtung stand deshalb erst einmal im Raum, als der erste Lockdown ausgerufen wurde. Zumal Luise und ihre Schwester Clara, wie alle anderen Schüler, von jetzt auf gleich ins Homeschooling geschickt wurden und gar nicht gleich realisierten, dass sie von nun an ausschließlich auf sich alleine gestellt von zu Hause würden lernen müssen. 

“Die Zoom-Meetings mit den Lehrern waren nicht wirklich erfüllend für uns, bewirkten eher das Gegenteil, nämlich noch mehr Stress. Es mussten neue Techniken erlernt werden. Wir mussten lernen, mit der neuen Situation umzugehen”, erinnert sich die 27jährige Luise. Und das mitten in der Vorbereitungsphase auf die Abschlussprüfung für ihre Ausbildung zu Heilerziehungspflegerinnen. Eine große Herausforderung für die Zwei.

Zwar sind Luise und Clara Zwillinge und klar war: “Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und uns gegenseitig Kraft und Halt geben, schaffen wir die Prüfungen nicht.” Dennoch ist jeder Zwilling anders mit der Situation umgegangen. Luise: “Clara war diejenige, die sich viel mit ihren Mitschülern ausgetauscht und Fragen gestellt hat. Ich hingegen habe mich eher des Internets bedient und der Schulbücher, die wir gestellt bekommen haben. Ich habe den Austausch mit den Mitschülern per Zoom eher als anstrengend empfunden. Außerdem haben wir uns Hilfe gesucht bei unseren Eltern, Freunden und Bekannten und unserem Vertrauenslehrer.”

Jedenfalls habe sie diese “krasse Phase” des Jahres 2020 gelehrt – egal, was passiere, “der Wille lehrt einen und man schafft dann ganz viel”. So kam es denn auch, dass die beiden ihre Abschlussprüfungen erfolgreich absolviert haben.

Aber nicht nur die veränderten Bedingungen der beruflichen Ausbildung stellte die Zwillinge vor besondere Herausforderungen. Der Lockdown stoppte auch jäh ihrer beider sportliche Freizeitbeschäftigung. Bei Clara der Fußball. Bei Luise das Tischtennis. 

Für Luise war dieser harte Cut besonder schlimm. Sie hatte bis dato nur ihren Sport im Kopf und für fast gar nichts anders mehr Zeit gehabt. “Ich war zuerst sehr traurig und wusste nicht, was ich machen soll. Aber dann merkte ich schnell, dass mir die Zwangspause auch mal gut tut, um zur Ruhe zu kommen. Und diese Ruhe hat mich dazu bewegt mal darüber nachzudenken, dass es auch noch Sachen außerhalb des Sports gibt”, gesteht die junge Frau. Nicht zuletzt merkte Luise schnell, dass, “wenn ich meine Volle-Kanne-Konzentration auf die Schule lege, da viel mehr Produktives und Kreatives herauskommt, als wenn ich Sport und Schule unter einen Hut bringen muss. Es glich fast schon einer Erleichterung.”

Für Clara war der Einschnitt, kein Fußball mehr spielen zu können, nicht so dramatisch. Für sie hatte der Sport ohnehin nur einen Nebenrolle gespielt. Clara war immer schon diejenige gewesen, die länger als ihre Schwester am Schreibtisch gesessen und für Prüfungen gebüffelt hatte, weil sie gemerkt hatte, dass ihre Konzentration nicht reichen würde, sich für beides gleichsam intensiv zu engagieren.

Nicht genug, die Hürde des sportlichen Verzichts genommen und den Abschluss zur Heilerziehungspflegerin geschafft zu haben, Luise gab noch mehr Gas. Sie wollte unbedingt den Führerschein zu machen. Der feste Wille trieb sie an, diesen im Rahmen einer Vollzeit-Intensiv-Woche zu absolvieren. Als das tatsächlich geschafft war, standen dem selbstbestimmten Weg ins Leben sämtliche Türen offen und beflügelte die Zwillinge, einen weiteren einschneidenden Schritt zu gehen. 27 Jahre hatten Clara und Luise immer zusammen gelebt, nun stand an sich zu trennen. Luise wollte mit ihrem Freund zusammen ziehen und Clara allein in der ehemals gemeinsamen Wohnung weiter leben. 

Und so finden Clara und Luise: “Das Pandemie-Jahr 2020 war für uns das Jahr unserer erfüllten Träume!”

Autorin: Dagmar Elsen

Verdammt, im Abgrund zu verenden? Oder schaffen sie den Absprung?

Alle Eltern von Kindern im pubertären Alter leben mit der Sorge: Hoffentlich wird mein Kind nicht eines Tages drogensüchtig – weil es an die falschen Freunde gerät, oder weil es einfach nur neugierig ist und wissen will, wie es sich denn so anfühlt, wenn die Drogen die Welt in bunte Farben taucht und alles andere vergessen lässt.

Eltern von Kindern mit fetalen Alkoholschäden umtreibt diese Sorge einmal mehr, scheinen doch ihre Schützlinge auf den ersten Blick weit größere Affinitäten zu haben sich zu Drogen verleiten zu lassen, um sich dann im Sumpf der Drogenszene zu verlieren. Schließlich gelten viele von ihnen als leichtgläubig, sind sich der Tragweite und Konsequenzen ihres Handelns nicht bewusst, lassen sich nur allzu leicht zu allem möglichen verführen. Und, es stellt sich die Frage: Haben sie eine genetische Veranlagung dazu? Und heißt das dann, dass diese Kinder verdammt sind, im Abgrund zu verenden? Oder sind sie in der Lage, den Absprung wieder zu schaffen?

Wir haben Kevin, der vom Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) betroffen und unser Botschafter ist, dazu passend seine persönliche Geschichte erzählen lassen. Im Anschluss haben wir dem FAS-Experten aus der Klinik Walstedde bei Münster, Philipp Wenzel, einige Fragen zu dieser Thematik gestellt.

Kevin:

Ach, ich wollte das mal ausprobieren, aber irgendwie auch nicht. Und da meinte ein Kollege dann, komm ich führ’ Dich mal ran, und der hat mich dann immer wieder ziehen lassen. Irgendwann war es dann soweit, dass ich einen kompletten Joint alleine geraucht habe ohne Probleme. Ja, ich muss sagen, dass ich schon überredet worden bin. Ich war auch nicht betrunken. Ich war auf jeden Fall neugierig, wie es auf mich wirkt. 

Wie gesagt, alles fing, da war ich 18 Jahre alt, mit ein paar Zügen von einem Joint an. Die Wirkung kam sofort: Ich merkte, dass es mir besser geht und ich nicht mehr so “anders“ bin, auch mal entspannen kann. Aber aus ein paar Zügen wurden irgendwann 0,5 Gramm, und aus 0,5 Gramm wurde 1 Gramm täglich, um mich selbst zu ertragen. Die Spirale ging weiter. 

Es blieb nicht bei Cannabis. Ich fing an Koks zu ziehen. Schnell stellte ich fest, dass ich auch hier immer mehr davon haben wollte. Anfangs konnte ich noch widerstehen und blieb bei Cannabis. Als ich dann aber mal wieder feiern war, ist es passiert: Ich zog wieder Koks. Von da an habe ich mir zwischendurch immer mal wieder ‘was geholt. Ab dem Zeitpunkt war mir plötzlich alles egal, mein Leben zog einfach so an mir vorbei.

Mein ganzes Gespartes? Weg! Ausgegeben für Drogen! Eigentlich war das Geld für meinen Führerschein und evtl. noch ein Auto geplant. Daran könnt ihr erkennen, wie hoch mein Drogenkonsum ausgesehen hat. 

Eines Tages landete ich in der Psychiatrie. Hier lernte ich auch, ohne die ganzen Drogen zu leben. Hat es gehalten? Nein! Ich machte weiter. Es kam sogar noch Speed hinzu. Und ich nutzte die Wirkung von meinen Schlaftabletten aus, weil ich alles vergessen, keinen Schmerz mehr fühlen wollte. 

Unglaublich, aber wahr: Ich habe es irgendwann alleine geschafft mit fast allem aufzuhören. Es machte einfach keinen Sinn mehr so zu leben. Cannabis habe ich allerdings weiter konsumiert. Und verdammt, dann passierte der Rückfall mit Speed. Mit Freunden chillend rauchte ich erst einen Joint, zog dann Speed, woraufhin ich über 24 Stunden wach blieb. 

Am nächsten Tag traf ich mich wieder mit Freunden, rauchte gleich wieder einen Joint und da passierte es: Ich kollabierte, ich krampfte, etc. Ich selbst realisierte gar nichts, Freunde und Bekannte erzählten es mir später. Ich musste mit dem Rettungswagen abgeholt werden.

Von diesem Tag an kann ich stolz sagen: ICH BIN CLEAN VON ALLEM! 

Ich hatte Angst, Angst zu sterben. Drogen sind scheiße!

Wenn Sie das lesen, Herr Wenzel, wie deckt sich das mit den Erfahrungswerten, die Sie durch Ihre Patienten erworben haben? Ist dieser Fall ein Klassiker?

Philipp Wenzel: 

Der Fall von Kevin ist leider ein typischer Fallverlauf für Klienten, welche von FAS betroffen sind. Die Klienten werden im Rahmen der Alkoholschädigung ja schon früh mit einem Suchtstoff im Mutterleib angespielt. Schon zu diesem Zeitpunkt erhält das Belohnungssystem des Ungeborenen eine entsprechende Konfrontation und wird somit in eine pathologische Richtung gelenkt. Im Grunde kommt es hier zu einer Desensibilisierung bezogen auf den Botenstoff Dopamin, welcher im Rahmen des Belohnungssystems im Hirn fungiert. Die entsprechenden Zellen des Belohnungssystems fordern diesen Stoff (Dopamin) regelrecht ein. Die von Kevin beschriebene Entwicklung und sein entsprechender Fallverlauf sind für uns aus dem ärztlich-therapeutischen Bereich leider keine Seltenheit. Um auf Ihre Frage entsprechend zu antworten, müssen wir diesen Fall leider als einen „Klassiker“ benennen. Dies ist vor allem für die Klienten tragisch, welche vom FAS betroffen sind, aber dennoch eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit haben und entsprechend auch einen sehr nah an der Normalität liegenden Entwicklungs- und Schulverlauf darstellen können.

Sind Kinder mit fetalen Alkoholschäden suchtanfälliger als andere Kinder? 

Philipp Wenzel:

Wie gerade schon erwähnt, wird bereits unter der Schwangerschaft, also im Mutterleib, das Belohnungssystem der Betroffenen mit Alkohol angespielt. Dadurch, dass es im Rahmen dessen zu einer Desensibilisierung für Dopamin kommt, sind die Betroffenen regelmäßig auf der Suche nach entsprechenden Erfahrungen, welche einen Dopamin-Schub oder „Kick“ auslösen.

FAS-Betroffene sind entsprechend deutlich suchtanfälliger und haben generell eine höhere Affinität zu Suchtstoffen. Dies ist leider nicht auf Alkohol beschränkt, sondern weitet sich auch auf den Bereich von Drogen, aber auch in den Bereich von nicht stoffgebundenen Süchten aus. Entsprechend kommt es häufig zu erhöhtem Medienkonsum, Mediensucht oder Spielsucht. Im Rahmen der Spielsucht ist es besonders gefährlich, dass die Betroffenen keine Einschätzung von Geldwerten oder Sachwerten haben. Meistens sind entsprechend den Spielverhaltensweisen keine Grenzen gesetzt.

Im Rahmen der Suchtentwicklung wirkt sich außerdem begünstigend aus, dass die Betroffenen oft artlos und verleitbar sind. Sie lassen sich entsprechend schneller auf Substanzkonsum ein und können im weiteren Verlauf die Konsequenzen ihres Verhaltens nicht adäquat abschätzen, sodass es zu Konsumverhalten von großen Stoffmengen kommt. Dies ist über das ohnehin schon erhöhte Suchtpotenzial hinaus noch gefährlicher, da sich hieraus eine noch schneller verlaufende Suchtentwicklung entwickeln kann sowie eine Sucht zu noch härteren Drogen.

Wenn FAS-Betroffene suchtanfälliger sind, woran liegt es – an einer genetischen Veranlagung, an mangelnder Medikation, an frustrierenden Lebensläufen, die bis hin zu Depressionen führen?

Dr. Wenzel:

Im Rahmen der aktuellen Forschung, auch im genetischen Bereich, arbeiten wir aktuell an der Fragestellung, ob es eine genetisch verankerte erhöhte Suchtstoffaffinität gibt. Diese wäre dann als Risikofaktor für das Entstehen eines Fetalen Alkoholsyndroms zu werten. In diesem Fall würde dann zu der hirnorganischen Schädigung im dopaminären System, wie ich sie oben schon benannt habe, auch eine genetische Disposition hinzukommen. Die Betroffenen hätten entsprechend zwei Risikofaktoren zur Entwicklung einer Suchterkrankung.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Suchtanfälligkeit für Alkohol und der für andere Drogen? 

Philipp Wenzel:

Einen Unterschied in der Entwicklung von Suchterkrankungen sehen wir deutlich. Die meisten Jugendlichen zeigen aufgrund der Verfügbarkeit eine hohe Affinität zu Medien und einer sich entsprechend entwickelten Mediensucht. Auch sehen wir gehäuft die Entwicklung von einer Cannabissucht. Oftmals sind die Betroffenen dahingehend sozialisiert, keinen Alkohol zu trinken, da dieser sie selbst schon so massiv geschädigt hat. Dies ist oftmals so tief sozialisiert, dass hier ein regelrechter Ekel entsteht. Hier wird der Fall von Kevin dann wieder zu einem sehr typischen Fall. Es kommt zu entsprechenden Verführungen in der Peer-Group und dann zur Aufnahme von regelmäßigem Cannabis-Konsum. Diese Droge ist in Milieunähe günstig und schnell verfügbar, sodass eine Suchtentwicklung sehr rasch geschehen kann.

Viele Jugendliche mit fetalen Alkoholschäden, die keine unterstützenden Medikamente erhalten, berichten, dass sie Cannabis rauchen, damit sie endlich mal “runterkommen”. Ist die mangelnde Medikation tatsächlich ein Trigger?

Philipp Wenzel:

Die mangelnde Medikation ist kein echter Trigger. Das bedeutet nicht, dass Menschen, welche vom Fetalen Alkoholsyndrom betroffen sind, schon dadurch getriggert sind, dass sie keine Medikation haben, dann Drogen zu konsumieren. Eher spricht die hohe Suchtstoffaffinität für einen frühen und intensiven Drogenkonsum.

Durch die Alkoholschädigung entsteht oftmals ein hohes Maß an Reizoffenheit und Ablenkbarkeit sowie Konzentrationsunfähigkeit. Die Patienten leiden unter einer sogenannten Ich-Grenzen-Störung. Das bedeutet, dass sie Inhalte, welche außerhalb des Körpers entstehen, viel deutlicher nach innen wahrnehmen als es nicht Betroffene tun. Diese flexiblen und bei nicht betroffenen Menschen modifizierbaren Grenzen stehen für FAS-Betroffene oft offen. Im Rahmen des Erstkonsums von Drogen wie Cannabis erleben die FAS-Betroffenen dann, dass durch den Konsum eine Abdichtung gegenüber den äußeren Reizen passiert. Dies wird entsprechend oft als angenehm wahrgenommen, sodass häufiger und intensiver Drogen konsumiert werden, weil diese die Betroffenen „runterbringen“ und „abdichten“. Dies kann im Rahmen des psychiatrischen Verständnisses als Selbstmedikation angesehen werden.

Bei Klienten, die mir vorgestellt werden und die bereits Suchtstoffe konsumieren, stelle ich oft eben diese Frage. Werden die Suchtstoffe genau deswegen konsumiert? Wenn dies der Fall ist, so versuche ich, mit dem Betroffenen schnellstmöglich eine Abstinenz zu erarbeiten, wenn möglich auch durch einen qualifizierten stationären Drogenentzug, um dann eine entsprechende abdichtende Medikation mit zum Beispiel einem Neuroleptikum auf den Weg zu bringen. Die hirnorganischen Auswirkungen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen des Neuroleptikums sind in keinem Fall mit den schädigenden Wirkungen von Drogen vergleichbar. Es handelt sich um eine kontrollierte Medikation, deren Wirksamkeit in großen Studien bewiesen ist. Die Schädlichkeit einer solchen Medikation ist weit unter der Schädlichkeit von Drogenkonsum. Außerdem greift eine Medikation sehr gezielt in die hirn-bio-chemischen Vorgänge ein. Drogen sind hier unspezifischer und haben eine auch schädigende Wirkung auf das sich entwickelnde Gehirn. Außerdem kommt es zu einer Toleranzentwicklung und einer Suchtentwicklung, somit Erhöhung der Dosis und im weiteren Verlauf dann sozialem Abstieg usw. Eine Medikation kann einer solchen Entwicklung deutlich entgegenwirken.

Was kann man als Eltern und Betreuer tun, um die Gefahr der Suchtanfälligkeit zu minimieren?

Philipp Wenzel:

Die Angehörigen und Betreuer der vom Fetalen Alkoholsyndrom betroffenen Menschen können vor allem mit gezielter Aufklärungsarbeit und Psychoedukation genau dieser Problematik entgegenwirken. Sie sollten eine entsprechende Motivation beim Betroffenen schaffen, sodass eine Affinität auf der psychosozialen Ebene verringert wird. Wie oben schon genannt, haben FAS-Betroffene aufgrund ihrer Sozialisierung schon eine gewisse Aversion gegen Alkohol. Diese sozialisierte Aversion kann auch im Bereich anderer Suchtstoffe bereits früh etabliert werden, sodass hier die Gefahr verringert werden kann.

Leider kann der biologisch-psychiatrischen Gefahr, die aus der Schädigung des Belohnungssystems resultiert, nicht adäquat entgegengetreten werden. Hier kann man die Betroffenen jedoch ausreichend mit einer Medikation versorgen, sodass die Ich-Grenzen-Stabilisierung nicht durch einen Suchtstoff stattfinden muss, sondern unter kontrollierten Bedingungen durch ein entsprechendes Medikament stattfindet.

In vielen Fällen ist es jedoch leider auch notwendig, eine räumliche Distanz zum Drogenmilieu herzustellen und entsprechende sichernde Maßnahmen zu etablieren. Die Betroffenen schaffen es dann oft aufgrund ihrer Arglosigkeit und Verführbarkeit sowie dem fehlenden Gefahrenbewusstsein nicht, für sich selbst eine Abstinenz aufrechtzuerhalten. Hier sind dann die entsprechenden Hilfesysteme in Form von Betreuern und Angehörigen gefragt.

Was ist es, dass es ein vom FAS betroffener Jugendlicher, der in der Drogenszene gelandet ist, schafft, dort wieder herauszukommen? 

Philipp Wenzel:

Im Fall von Kevin sehe ich generell einen typischen Fallverlauf. Hier kam es im Rahmen der sozial emotionalen Nachreifung zu einem entsprechenden Prozess. Kevin konnte für sich selbst die Haltung entwickeln, dass Suchtstoffe für ihn schädlich sind. Seine gemachten Erfahrungen und seine Vorstellungen halfen ihm entsprechend dabei, die Entscheidung gegen den Konsum von Suchtstoffen zu treffen. Insgesamt sind solche Fallverläufe leider die Seltenheit und die meisten Betroffenen gleiten in das entsprechende Milieu ab. Es kommt zu Konsum von Alkohol und weiteren Suchtstoffen, auch bei weiblichen Betroffenen, was oftmals dazu führt, dass auch hier unter der Schwangerschaft Alkohol und Drogen konsumiert werden. Oftmals wird in der Diagnostik dann die ganze Tragik in der Familienanamnese deutlich.

Insgesamt sehen wir bei den FAS-Betroffenen vor allem die Problematik des bereits früh angespielten Belohnungssystems. Im Rahmen dessen schaffen viele Betroffene es nicht, auf spezielle Verhaltensweisen und Substanzkonsum zu verzichten. Dies führt dannmeistens zu desolaten Fallverläufen und auch zu tragischen Entwicklungen, obwohl eine viel bessere und stabile Entwicklung zu erwarten gewesen wäre. Es ist an dieser Stelle entsprechend sehr lobenswert, dass Kevin diesen Weg für sich beschritten hat und selber daran arbeitet, diesem Milieu zu entfliehen. 

Die Fragen stellte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne