Beim Stillen: Das Baby trinkt mit

Will ich meine Kliniktasche packen, stoße ich schon beim Abklappern der Ratgeber für werdende Mamas im Internet auf erstaunliche Ratschläge. Unter “Sonstiges steht neben Entspannungsmusik, Bonbons und Smartphone tatsächlich auch die “kleine Flasche Sekt zum Anstoßen nach der Geburt” auf der Liste der Dinge, die man auf jeden Fall dabei haben sollte.

Und nicht nur zum Anstoßen soll der Sekt gedacht sein. Nein, “Wein und Sekt fördert die Milchbildung und schadet nicht”, heißt es landauf landab immer wieder.

Diesen “Bullshit”, anders kann man es beileibe in den heutigen Zeiten und nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen (wobei anzumerken sei, dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über ein Jahrzehnt zurückliegen) nicht anders nennen, greifen unsere Kampagnen-Botschafterinnen, gleichsam professionelle Stillberaterinnen so wie Scarlett Highley aus Hannover nur allzu gerne auf*.

Ach ja, und erst kürzlich wieder ließ ein Kinderarzt verlauten, dass der Mutterkuchen den Alkohol abfange.

Man kann nicht umhin zu dem Schluss zu kommen: Erklärung tut tatsächlich Not.

Fakt ist: Das Baby trinkt mit. Konsumiert die Mutter Alkohol, so gelangt der Alkohol über ihren Verdauungstrakt ins Blut und von dort weiter in die Muttermilch. Alkohol wird hauptsächlich in der Leber abgebaut. Auch bei Säuglingen ist die Leber immer noch nicht richtig ausgereift. Das bedeutet, dass die Aktivität der Enzyme im Vergleich zu einer erwachsenen Leber deutlich geringer ist. Heißt: Der Alkohol wird bei den Säuglingen viel langsamer abgebaut und bleibt demzufolge auch viel länger in ihrem kleinen Körper.

Was sind die Folgen?

In Studien wurde nachgewiesen, dass Alkoholkonsum über die Muttermilch den Schlafrhythmus der Säuglinge stören kann. Es wurde beobachtet, dass die Babys deutlich kürzere “ruhige Schlafphasen” und insgesamt einen leichteren Schlaf hatten. Gleichzeitig waren die Wach- und Schreiphasen länger.

Damit nicht genug:

Nach dem Genuss von Alkohol kann es zu einer Verringerung der Milchmenge kommen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass schon der Konsum kleiner Mengen Alkohol die Ausschüttung mütterlicher Hormone hervorruft – aber eben nicht dazu führt, dass die Milchbildung angeregt wird, sondern: Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Botschafterin und Stillberaterin Anne Heinzig** aus München erklärt: “Alkohol hemmt die Oxytocinfreisetzung. Das Oxytocin ist ein wichtiges Hormon, welches für den Milchspendereflex wichtig ist. Es kann also gut sein, dass der Alkohol entspannen lässt, ABER er verzögert den Milchspendereflex.”

Das wiederum hat bei vielen stillenden Müttern zur Folge, dass sie über wunde Brustwarzen klagen, berichtet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seinem Wissenschaftsreport zu “Alkohol in der Stillzeit”.

Gibt es denn eine sichere Grenze für einen Alkoholkonsum in der Stillzeit?

Nein, keine, die wissenschaftlich nachgewiesen ist. Deshalb gilt: “Für die Gesundheit von Mutter und Kind ist es deshalb am sichersten, in der Stillzeit auf Alkohol zu verzichten”, heißt z.B. der Ratschlag im Konsensuspapier von “Gesund ins Leben”.

So weit, so gut. Aber, dann steht da weiter zu lesen: “dass, allenfalls zu besonderen Anlässenein kleines Glas Wein, Bier oder Sekt tolerierbar ist, wenn ein früheres Abstillen die Alternative ist.”

Nach einem ersten erstaunten Stirnrunzeln wird klar: Es soll verhindert werden, dass stillende Mütter nur deshalb aufhörendem Säugling die so wichtige Muttermilch zu verwehren, bloß um auch hin und wieder mitfeiern zu können und nicht mit dem ewig schnöden alkoholfreien O-Saft in der Hand geschmäht vom Rest der Hochzeitsgesellschaft in der Ecke stehen zu müssen.

ABER – Die gute Nachricht: Das Stillen lässt sich planen

Stillberaterin und ebenso Kampagnen-Botschafterin Bärbel Aab*** aus Regenstauf rät: “Am besten erst stillen, dann etwas trinken und eine möglichst lange Pause von mehreren Stunden machen, bevor man wieder stillt.” Ideal ist es natürlich, wenn vor dem Alkoholkonsum Milch abgepumpt worden ist, die man im Kühlschrank für derlei Fälle bereit hält.

Bleibt die Frage zu klären: Wann darf nach dem Alkoholgenuss wieder gestillt werden?

Dazu muss man wissen, dass die Alkoholkonzentration im Blut in etwa parallel zu der Alkoholkonzentration in der Muttermilch ansteigt! Also kann man sagen: In etwa 30 Minuten nach dem Alkoholkonsum ist die größte Menge des Alkohols in der Muttermilch angekommen. Natürlich, das sei an dieser Stelle anzumerken, ist es maßgebend, ob die Mutter vor oder während des Alkolokonsumgegessen hat und wieviel. Denn mit Essen verzögert sich der Alkoholabbau in aller Regel. Und, ebenso entscheidend: Welcher Konstitution, welcher Verfassung ist die Mutter? Ist sie körperlich geschwächt, gestresst, schlechter seelischer Verfassung? Nicht zuletzt ist das Gewicht der Mutter von Bedeutung.

Was passiert dem Baby eigentlich, wenn die stillende Mutter Alkohol trinkt?

Alkohol ist ein Zellgift und kann die kindliche Entwicklung beeinträchtigen. Betroffen ist insbesondere das Gehirn. Die Leber ist beim Säugling noch nicht so ausgebildet ist wie die eines erwachsenen Menschen. Das führt dazu, dass das Baby dem Alkohol länger ausgesetzt wird. Ab welcher Dosis es für das Baby problematisch wird, ist medizinisch nicht eindeutig belegt. Größere Mengen Alkohol sowie ein regelmäßiger Konsum sollten jedoch definitiv vermieden werden, raten alle Experten, so beispielsweise in einem im renommierten US-amerikanischen “Breastfeeding Medicine” veröffentlichten Artikel.

Nachgewiesen ist, dass Alkohol die Schlafzeiten des Babys verkürzt. Zudem verändert Alkohol die Zusammensetzung, den Geruch, und, wie schon gesagt, die Menge der Muttermilch. Aufgrund dessen trinken die Kinder weniger, nehmen langsamer zu und sind oft auch unruhiger.

Noch eine Anmerkung zu Neugeborenen: Bis zum Ende des ersten Monats, da das Baby das Licht der Welt erblickt hat, sollte die Mama besser gar keinen Alkohol trinken. Neugeborene haben oft ganz unerwartet Hunger, so dass eine Zeitplanung unmöglich wird. Außerdem muss sich die Milchproduktion erst einpendeln und reagiert sensibel auf Alkohol.

*www.klecker-lecker.de

**www.stillberatungheinzig.de

***www.ergotherapie-stillberatung-regenstauf.de

Ein im Zusammenhang stehendes und stark nachgefragtes Thema: www.happy-baby-no-alcohol.de/2019/04/20/natuerlicher-alkohol-ist-kein-aufreger-aber-bitte-wohldosiert/

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

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